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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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umso mehr, denn nur mit ihrer Hilfe konnte er die Bedrohung, die Marie umgab, entschlüsseln.
    Gabriel drehte sich auf die Seite und betrachtete das Bild, das er nach seiner Rückkehr an die Wand gegenüber seinem Sofa gestellt hatte. Unzählige lidlose Augen starrten ihn an, als wollten sie ihn bei lebendigem Leib auffressen. Und unter den winzigen, drohend gehobenen Fäusten der Geflügelten zog sich ein Netz feiner Risse über das Bild, als befänden die Geflügelten sich auf der anderen Seite einer Glasscheibe, die jeden Moment unter ihren Schlägen zerbersten konnte. Sie versuchten, in die Realität durchzubrechen. Kein Zweifel. Auch wenn Gabriel sich nicht vorstellen konnte, wie das möglich sein sollte…
    Müde rieb er sich über die Stirn und richtete sich wieder auf. Es ließ ihn einfach nicht los. Auch wenn Marie ihm nicht zuhörte, er musste etwas tun, musste irgendeinen Hinweis finden, wie er die Wesen aufhalten konnte. Er war in den vergangenen Nächten kaum zur Ruhe gekommen. Dieses Bild war das eindrücklichste, aber längst nicht das letzte gewesen, das er von den Geflügelten gemalt hatte.
    Gabriel stand auf und öffnete die Kiste, in die er seine neuesten Werke eingeschlossen hatte. Eins nach dem anderen holte er sie heraus und reihte sie an der Wand neben dem ersten Bild auf, ehe er sich wieder aufs Sofa setzte und sie betrachtete, bis seine Augen brannten. Die verzerrten, schwarz glänzenden Gebäude der Stadt auf der anderen Seite, der schwarzweiß karierte Boden, der rotviolette Himmel mit der weißen Sonne. Der Nebel, der die Stadt umschloss, und die Krähen. Mit jedem Bild erschien ihm die Szenerie bedrohlicher. Aber sosehr er sich auch anstrengte, er fand keine Antwort, obwohl sein Nacken zwickte und kribbelte, als würde sich die Gefahr mit spitzen Zähnen in seiner Haut verbeißen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er sprang auf die Füße und stieß die Bilder um, bis sie alle mit der bemalten Seite nach unten auf dem Boden lagen. Schwer atmend starrte er auf die Leinwände. Er konnte nicht mehr hinsehen. Es machte ihn wahnsinnig.
    Die Bestie knurrte und Gabriel schauderte. Die Geflügelten kamen immer näher. Die Bestie spürte das, und er durch sie ebenso. Sie warteten. Lauerten auf ihre Chance. Marie war in Gefahr. Sie– und vielleicht auch die, die ihr nahe standen. Irgendwie musste es möglich sein, ihr zu helfen. Er wollte ihr helfen, wenn sie ihn ließ.
    Er musste nur noch herausfinden, wie. Und dann würde sein Fluch vielleicht endlich zu etwas gut sein.

Interludium: Im schwarzen Turm
    Lea stand am Fenster und sah hinaus in die Abenddämmerung, die sich über die schwarzen Häuser am Fuß des Turms gelegt hatte.
    Die ruhelosen Geister waren von den Straßen verschwunden, und der Himmel hatte sich mit einem dunkelvioletten Schleier überzogen. Der Nebel, am Tag noch weißlich grau, erschien im schwindenden Licht wie eine dichte, düstere Masse. Früher waren um diese Zeit in der Stadt die Laternen entzündet worden. Doch das war Ewigkeiten her. Nun herrschte nach Einbruch der Nacht nur noch Finsternis.
    Lea legte die Arme auf die Fensterbank und ließ den Blick zu einem Horizont schweifen, den es nicht mehr gab. Als sie noch klein war, hatte sie von hier oben weit in die Ferne sehen können, über die Grenzen der Obsidianstadt hinaus auf Wiesen, Wälder und Flüsse unter einem leuchtend blauen Himmel. Jetzt begrenzte der Nebel ihren Blick bereits wenige hundert Meter jenseits des Marktplatzes. Und niemand hätte sagen können, wann die Welt begonnen hatte, sich zu verändern.
    Die Bauern am Stadtrand hatte es zuerst getroffen, als ihre Felder selbst an sonnigen Tagen plötzlich in einem bläulichen Dunst versanken, der den gesunden Boden in kürzester Zeit in kahles Brachland verwandelte. Wie ein hungriges Raubtier nährte sich der Nebel vom Leben in den Pflanzen und den Menschen, die verzweifelt versuchten, ihre Ernte zu retten, wurde dichter und größer, und drang von da an in beängstigendem Tempo jeden Tag ein Stück weiter in die Stadt vor. Er trieb in kalten Schleiern durch die Straßen, kroch durch Poren und Atemwege in die Körper der Stadtbewohner und vergiftete selbst den Himmel und die Sonne. Er hörte erst auf, sich auszubreiten, als es kein Leben in den Häusern aus Obsidian mehr gab. Seitdem umhüllte er die Stadt wie ein undurchdringlicher Wall. Nichts konnte hereinkommen und nichts und niemand hinausgelangen.
    Lea machte sich nichts vor. Ihre Tage waren

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