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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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diesem Moment geschah etwas Seltsames.
    Das Flattern in Maries Brust legte sich. Zog sich zurück, als hätte die Berührung seiner Hand es vertrieben. Der Schmerz verging und Maries Sicht wurde wieder klar. Der Anfall, mit dem sie schon fest gerechnet hatte, löste sich an der Schwelle zu ihrem Bewusstsein auf, als wäre dort plötzlich eine Barriere, die er nicht überwinden konnte.
    Keuchend und verständnislos starrte Marie Gabriel an.
    » Ich lüge nicht. Ehrlich.« Seine Stimme war ganz ruhig und überhaupt nicht wütend. » Und ich habe mit niemandem gesprochen. Ich kann sie sehen.«
    Langsam ließ er Maries Schulter los. Dann griff er nach ihrer Hand und drückte einen Zettel hinein. » Ruf mich an, wenn du reden willst. Und pass auf dich auf.«
    Reflexartig schlossen sich Maries Finger um den Zettel. Sie sagte nichts. Sie konnte nicht.
    Aber sie konnte auch den Zettel nicht loslassen.
    » Wir sehen uns, hoffe ich. Ich lasse dich jetzt in Ruhe, okay?« Langsam machte Gabriel einen Schritt rückwärts. Dann noch einen. Und schließlich, nach einem letzten langen Blick, drehte er sich um.
    Stumm sah Marie ihm nach, wie er den Weg zum Teehaus zurückging. Um sein Bild zu holen, vermutlich. Dieses fürchterliche Bild. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Die schnell herabfallende Dunkelheit verschluckte Gabriel bereits nach wenigen Metern, und sie fühlte sich plötzlich leer. Unendlich leer. Nicht mal die Wut war ihr geblieben.
    Sie hatte sich auf dieses Treffen gefreut, dachte Marie bitter. Selbst wenn sie es vor sich selbst niemals zugegeben hatte– tief in ihrem Innern hatte sie daran geglaubt, dass Gabriel sich für sie interessierte. Sie hatte sich in seiner Gegenwart wohlgefühlt, sie hatte es genossen, den Nachmittag mit ihm zu verbringen, seine Stimme zu hören, ihn lächeln zu sehen. Aber jetzt… Sie wusste ja nicht einmal, was sie von ihm halten sollte. Sollte sie ihm glauben? Konnte er ihr vielleicht wirklich helfen? Oder wollte er sich doch nur über sie lustig machen? Und ob er Theresa nun näher kannte oder nicht, wusste sie immer noch nicht.
    Mit hängenden Schultern und schmerzendem Kopf machte sich Marie auf den Heimweg.
    Sie hatte keine Lust auf ihr Zuhause. Aber es gab ja auch keinen anderen Ort, an den sie sonst hätte gehen können.

Siebtes Kapitel: Die Schattenkreatur
    Mit einem äußerst unguten Gefühl kehrte Gabriel nach dem Treffen mit Marie in seine Wohnung zurück.
    Er hatte von Anfang an geahnt, dass sie mit Ablehnung reagieren würde. Natürlich, was hatte sie auch für einen Grund, ihm zu glauben? Unwahrscheinlich genug waren seine Befürchtungen allemal. Tatsächlich hatte er nicht einmal damit gerechnet, dass sie selbst von den Feen wusste. Den meisten, wenn nicht sogar allen Menschen, die er kannte, waren die Schatten, die Ausdruck ihrer Ängste und düsteren Gefühle waren, unbekannt. Genau das hatte Gabriels Leben immer so schwierig gemacht. Marie hingegen schien ihren Schatten, die Feen, zu kennen– und dennoch hatte sie ihm überhaupt nicht zuhören wollen. Sie hatte ihm ja nicht einmal eine Chance gegeben, sich zu erklären. Oder es zumindest zu versuchen. Es tat Gabriel leid, sie so verletzt zu haben. Und es erinnerte ihn daran, warum er für gewöhnlich lieber für sich behielt, was er hinter den Menschen sah.
    Müde ließ er sich aufs Sofa sinken, streckte die Beine aus und starrte ins Leere. Eigentlich hätte er viel lieber überhaupt nichts mehr gesehen. Bei niemandem. Aber das war ein Wunsch, auf dessen Erfüllung er schon vor Jahren die Hoffnung aufgegeben hatte. Er hatte sich damit arrangiert, hatte gelernt, sein Unbehagen und seine eigenen Ängste zu bekämpfen und mit der Einsamkeit zurechtzukommen. Er konnte inzwischen die Menschen in seinem Umfeld als Persönlichkeiten wahrnehmen, ohne sie auf die finsteren Wesen zu reduzieren, deren Gestalt ihre Wut, Furcht und Trauer annahmen. Das Monster mit den bluttriefenden Reißzähnen, die Teufelskatze, die den Atem stahl, das Skelett mit den leeren Augenhöhlen… sie alle waren nur Beispiele für die Vielfältigkeit der düsteren Fantasien, die in den Menschen wohnten.
    Schon als Kind hatte Gabriel hinter jeder Person, der er begegnete, früher oder später eine Kreatur entdeckt, die ihr folgte wie ein Avatar aller negativen Empfindungen, zu denen ein menschlicher Geist fähig war. Damals, als Gabriel seine eigene Schattenkreatur noch nicht unter Kontrolle gehabt hatte, war er ihnen hilflos ausgeliefert gewesen.

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