Als die schwarzen Feen kamen
Nicht einmal seine eigenen Eltern hatte er noch hinter den Biestern erkennen können und sich immer weiter von seiner Realität entfernt. So weit, dass er es irgendwann kaum noch wagte, den Schutz seines Zimmers und der Einsamkeit zu verlassen. Erst viel später hatte er es geschafft, seiner Bestie den Zugriff auf seine Sinne zu verwehren.
Erst, nachdem er zurückgekehrt war aus dem Nichts.
Gabriel hob die Arme über sein Gesicht und starrte auf seine Handgelenke. Unter den abgewetzten Ärmelsäumen seines Pullovers krochen die Spitzen der zwei schmalen Linien hervor: die Farbe von Kaffee mit sehr viel Milch, deutlich heller als der Rest seiner Haut. Erinnerung an den Tag vor inzwischen mehr als drei Jahren, an dem er seine Bestie gezähmt– und seine Eltern endgültig verloren hatte. Er war in den Tod gegangen und zurückgekehrt. Und es hatte ihn stark gemacht… auch wenn er für seine Eltern seither ein Fremder war.
Gabriel seufzte schwer und ließ die Arme zurück auf die Polster sinken. Er wollte nicht über seine Eltern nachdenken– es führte einfach zu nichts außer sinnloser Schwermut. Er hatte sie hinter sich gelassen, und sie hatten die Tür hinter ihm abgeschlossen und mit einer Kette gesichert. Gabriel wollte nicht dorthin zurück. Er konnte den angewiderten Blick seiner Mutter nicht ertragen, und nicht den ängstlichen seines Vaters, wenn sie ihn anstarrten wie ein Monster. Ihnen wäre es lieber gewesen, er wäre tot geblieben, das wusste Gabriel. Und es war in Ordnung für ihn, in gewisser Weise. Er hatte jetzt ein neues Leben. Freunde, die ihn nicht fürchteten, weil sie nichts von seinem Fluch wussten. Aber manchmal tat es noch weh, dass er nicht mehr nach Hause kommen durfte. Nie mehr. Weil er sich für ein Leben mit den Schatten entschieden hatte. Und gegen die Angst.
Gabriel wusste, dass sein Verhältnis zu seiner Schattenkreatur seit jenem Tag außergewöhnlich eng war, eine Vertrautheit, die über die Tatsache, dass er sie sehen, hören und spüren konnte, weit hinausging. Während andere Menschen ihre Schattenkreaturen nur indirekt wahrnahmen und deren Bedürfnisse unbewusst auf ihre Gedanken und Handlungen übertrugen, hatte Gabriel mit seiner Bestie gekämpft und sie besiegt. Nach langen, harten Jahren in seiner Kindheit, in denen er selbst der Schatten gewesen war und die Bestie die Führung übernommen, nachdem er sich selbst schon aufgegeben hatte– an jenem Tag hatte er endlich begriffen, dass er sich durchaus gegen ihren Einfluss wehren konnte. Dass er der Stärkere von ihnen war. Oder dass er zumindest am längeren Hebel saß. Denn er hatte, was die Bestie wollte: Berührungen. Licht und Wärme. Nur durch Gabriels Körper konnte die Bestie den Kontakt mit seiner Seite der Realität aufnehmen, wonach sich alle Schattenkreaturen sehnten. Und er konnte ihr diese Dinge vorenthalten, wenn sie ihn zu sehr vereinnahmte. Sie wusste jetzt, dass er sogar entschlossen genug war, ihr alles zu nehmen, wenn sie sich ihm nicht fügte. Damit hatte er sich einen Respekt erkämpft, den er fast als Zuneigung hätte bezeichnen können, wären Schattenkreaturen zu so etwas fähig gewesen.
Gabriel hörte die Kreatur in ihrer Ecke grollen und winseln, als nur der Gedanke an diese endgültige Trennung sie streifte. Beruhigend öffnete er einen kleinen Kanal zu seinem Bewusstsein und ließ das Biest die warme, weiche Struktur der Wolldecke spüren, die er über seine Beine zog. Das Knurren, das ihm antwortete, klang beinahe wie das Schnurren einer riesigen Katze.
Gabriel lächelte nachsichtig und ließ bereitwillig zu, dass ein kleiner Teil seiner Körperwärme in die Schatten davonfloss. Natürlich würde er das Biest nicht aufgeben. So erbittert sie auch gegeneinander gekämpft hatten: Über die Zeit, die sie gezwungenermaßen miteinander verbracht hatten, war die Kreatur zu einer Art geheimem Verbündeten für Gabriel geworden. Er konnte einen Teil ihrer wahnsinnigen Kraft für sich nutzen, konnte durch ihre Augen in der Dunkelheit sehen, und er konnte Geräusche und Gerüche wahrnehmen, von denen kein sterbliches Wesen jemals hätte erfahren dürfen.Lange Zeit war dies eine unverzichtbare Hilfe für ihn gewesen, um die Schattenkreaturen als Teil seines Lebens anzunehmen, ihre Existenz zu akzeptieren und die Angst vor ihnen zu überwinden. Auch wenn sie ihn dafür verabscheuten, dass er so weit in ihre Welt vordrang. Und jetzt, wo die Sache mit Marie sie beide beschäftigte, brauchte er die Bestie
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