Als die Uhr dreizehn schlug
sagte Hatty nach kurzer Überlegung, »dass ich Ärger kriegen könnte?«
Abel nickte nur und ging davon.
Als sie sich das nächste Mal Ärger einhandelten – oder vielmehr nur Hatty –, konnte Abel sie vor den Folgen nicht schützen. Es fing damit an, dass sie ängstlich darauf achteten, mit dem Pfeileschießen im Garten ja keinen Schaden mehr anzurichten. Deshalb begann Hatty über die Gartenhecke auf die Wiese auf der anderen Seite zu schießen. Anschließend krochen die beiden durch den Tunnel in der Hecke und holten die Pfeile zurück.
Damit richteten sie keinen Schaden an, denn die Kühe hatten die Wiese schon ganz abgegrast. Die Suche nach den Pfeilen hielt sie eher vom Bogenschießen ab, doch Tom genoss die Ausflüge, ebenso wie Hatty. Und hatten sie die Pfeile einmal gefunden, zog der Fluss, der an der Wiese entlangströmte, Hatty magisch in seinen Bann. Um ans Ufer zu gelangen, bot sie sogar den Gänsen die Stirn.
Die Gänse, die jetzt Junge dabeihatten, kämpften stets ein mutiges Rückzugsgefecht, um die Kleinen zu schützen. Tom und Hatty mochten sie zwar nicht fortscheuchen, doch sie wollten ans Ufer. Schritt für Schritt gingen sie vor – Hatty hielt sich ein wenig hinter Tom; die Gänschen watschelten quakend davon zum Fluss, die beiden Gänse mit ihnen, und den Rückzug sicherte der Gänserich. Unter zornigem Kreischen schlurfte er davon, die Federn an seinem langen Hals gesträubt vor Wut, den Kopf mal auf die eine, mal auf die andere Seite wendend, sodass er die Feinde im Rücken immer im Auge behielt. Hin und wieder drehte er sich um und plusterte sich auf, um sie abzuschrecken, dann senkte er plötzlich den Kopf und reckte den Hals, sodass er fast den Boden berührte, und begann Tom zischend wie eine Schlange anzugreifen. Immer rannte er auf Tom los, denn inzwischen war Hatty weit hinter Tom zurückgeblieben und so gut wie möglich durch seine Gestalt verdeckt. Der Gänserich bremste seinen Sturmlauf kurz vor Tom ab. Im letzten Moment machte er kehrt und zog watschelnd von dannen, schloss zu den Gänsen mit den Jungen auf und folgte ihnen, wachsam wie zuvor.
So kamen sie allmählich voran, und endlich gelangte die schnatternde Schar zum Fluss und ließ sich hineinplumpsen. Sie paddelten im Wasser umher, die Alten unter empörtem Gekreische, während die Kleinen bald die Gefahr vergaßen, in der sie vermeintlich gewesen waren. Tom und Hatty setzten sich ans Ufer oder wanderten am Fluss entlang.
Hatty mochte den Fluss gern, doch Tom war nicht sonderlich beeindruckt. Er hatte andere, größere Flüsse gesehen; Hatty nicht.
»Der ist nicht groß für einen Fluss«, sagte er. »Er kommt mir nicht besonders tief vor und es wächst auch noch Schilfgras drin.«
Doch Hatty, die flussabwärts spähte, erwiderte: »Du solltest ihn weiter unten sehen.«
»Hast du?«, fragte Tom.
»Nein, aber ich hab davon gehört. Die Jungen baden nur ein wenig weiter unten, wo es Tümpel gibt; und sie angeln dort auch. Flussabwärts wird er größer. Er fließt nach Castleford und dann nach Ely und dann weiter und weiter bis ins Meer. So sagen sie.«
»Alle Flüsse fließen ins Meer«, sagte Tom. Doch Hatty interessierte eben dieser eine Fluss – der einzige, den sie kannte. Sehnsüchtig spähte sie stromabwärts, als würde sie das Wasser beneiden, weil es ewig auf Reisen war.
»Und manchmal, Tom, ist der Fluss sogar hier groß. Manchmal, im Winter und im Frühjahr, gibt es Fluten und dann steigt das Wasser hoch an den Uferrand und tritt über und überflutet diese Wiese.«
»Hatty«, sagte Tom verwundert, »wenn du diesen Fluss so magst, warum gehst du dann nicht baden, dort, wo die andern sind? Oder warum paddelst oder watest du nicht dorthin? Oder du besorgst dir ein Boot und fährst selber flussabwärts und erkundest, wo der Fluss hinfließt.«
Hatty sah Tom verdutzt an und sagte, eigentlich dürfe sie gar nicht auf die Wiese, gerade weil der Fluss hier entlangfließe. Die Tante sagte, sie mache sich dann die Kleider schmutzig oder nass oder – am schlimmsten für alle – sie würde es vielleicht sogar schaffen zu ertrinken.
Wenn sie derart an ihre Tante erinnert wurde, sprang Hatty plötzlich angsterfüllt auf und sagte, sie müsse zurück in den Garten. Und nichts, was Tom erwidern mochte, konnte sie davon abhalten. Schnellen Schrittes ging sie zurück über die Wiese zur Lücke in der Hecke. Tom folgte ihr. Wenn die beiden das Ufer verließen, kamen die Gänse mit ihren Jungen wieder an Land und
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