Als die Uhr dreizehn schlug
oberste Buch auf dem Stapel die Bibel war. »Abel sagt, die Bibel muss über allen Büchern stehen, wie – wie die Königin über ganz England regiert.«
Sie gingen ins Gewächshaus, hindurch zwischen Kakteen und Kletterpflanzen, deren Schlingen von ihren Gittertöpfen an der Decke herabhingen, und anderen Pflanzen mit seltsamen Blüten, die niemals wie die anderen draußen im Freien leben konnten. Nach Atem ringend fragte Tom sich, wie die Pflanzen die stickige Hitze im Gewächshaus aushielten. Da war eine Rizinuspflanze – ihm wurde ein wenig schlecht, als Hatty den Namen nannte. Auch Mimosen gab es, und als Hatty eine Blattspitze berührte, schrumpfte das ganze Blattwerk abweisend in sich zusammen. Dass die Pflanze offensichtlich fühlen konnte, fand Tom ganz erstaunlich; sie schien sogar Toms Berührung zu spüren. Er war so begeistert, dass er mit den Fingern über die ganze Pflanze strich, die ihre Blätter nervös und abweisend zusammenfaltete.
Dann beugten sie sich über den Wassertank, spähten nach den Goldfischen und versuchten sie zu fangen. Hatty entblößte einen Arm und tauchte ihn ins Wasser; Tom legte seinen Arm an den ihren und die offene Hand hinter ihre Hand, Finger an Finger. Und so, wie mit einem Arm und einer Hand, griffen sie ins Wasser und jagten die Fische. Tom hätte alleine nichts unternehmen können, doch als Hatty beinahe einen Fisch fing, schien Toms Hand eins zu sein mit ihrer.
Dann führte Hatty Tom zurück zum Eingang des Gewächshauses und zeigte ihm die gefärbten Scheiben der oberen Glasverkleidung. Durch jede farbige Fensterscheibe konnte man draußen einen anderen Garten sehen. Durch die grüne Scheibe sah Tom einen Garten mit grünen Blumen unter einem grünen Himmel; selbst die Geranien waren grünschwarz. Durch die rote Scheibe sah man einen Garten, wie man ihn vielleicht durch die Röte geschlossener Augenlider sehen konnte. Die purpurne Scheibe füllte den Garten mit drohenden Schatten und mit der aufziehenden Nacht. Das gelbe Glas schien ihn in Limonade zu tauchen. An jeder der vier Ecken dieser gläsernen Umfassung war ein farbloses Glasquadrat eingelassen, in das ein Stern eingraviert war.
»Und wenn du hier durchschaust…«, sagte Hatty. Sie kniffen die Augen zusammen und spähten durch das geprägte Glas.
»Eigentlich sieht man gar nichts durch den Stern«, sagte Tom enttäuscht.
»Manchmal mag ich das am liebsten«, sagte Hatty. »Du guckst und siehst nichts und du könntest meinen, es gäbe überhaupt keinen Garten; doch natürlich ist er die ganze Zeit da und wartet auf dich.«
Sie gingen hinaus, zurück in den Garten, und Hatty erzählte Tom von den Eiben am Rasen. Die eine, auf die er geklettert war und von der aus er gewunken hatte, wurde Matterhorn genannt. Ein anderer Baum war der Aussichtsturm, und wieder ein anderer hieß die Stufen von St. Paul. Ein Baum hieß Tricksy, weil er so schwer zu erklimmen war. Sein Stamm war vom Boden aus ein gutes Stück völlig kahl und man konnte nur hinaufrobben. Hubert und James und Edgar hatten es alle einmal geschafft; Hatty konnte es nicht. (Tom fühlte sich ihr sehr überlegen – Prinzessin oder nicht.)
Manchmal zweifelte Tom an dem, was Hatty ihm erzählte. An einer buschigen Pflanze, auf die ihn Hatty aufmerksam machte, hielten sie inne. »Das ist der Brennende Busch« sagte sie. Sie riss ein Blatt ab, zerrieb es zwischen den Fingern und hielt es Tom unter die Nase. Er schnüffelte an ihren Fingerspitzen; doch es roch nur ganz schwach. »Sollte sie nach Verbranntem riechen?«, fragte er zweifelnd.
»Nein, James sagt, sie riecht nach Zitronenthymian.«
»Warum heißt sie dann Brennender Busch?«
»Es heißt, wenn man in der Mittsommernacht um Mitternacht herauskommt und ein Blatt anzündet, wird die ganze Pflanze lichterloh verbrennen.«
»Woher weißt du das – habt ihr es schon probiert?«
»Nein, natürlich nicht. Es gibt ja nur eine davon im Garten und wir wollen sie nicht zu einem Haufen Asche verbrennen.«
»Ah!« Es könnte aber immerhin stimmen, dachte sich Tom.
Hatty trat auf ihn zu. »Soll ich dir etwas verraten – ein Geheimnis?«
»Wenn du magst.«
»Dieser Busch stammt von einem Ableger des echten Brennenden Busches – der einst vor den Augen Moses' verbrannte.«
»Aber das ist doch lange, lange her und steht in der Bibel!«
»Dir erzähl ich nichts mehr!«, sagte Hatty beleidigt.
Doch sie konnte nie widerstehen. Nicht nur bei ihrem ersten Treffen, sondern an allen folgenden Tagen
Weitere Kostenlose Bücher