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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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die Tatsachen noch nicht kannte; doch schließlich würde er nur warten müssen, bis er Mrs Bartholomew besuchen konnte, um es aus ihrem Mund zu hören. Vielleicht würde sie ihre Geschichte mit gedämpfter Stimme beenden: »Und seither, Tom, heißt es, dass sie und ihr Garten und all die andern in diesem Haus umherspuken. Es heißt, wer Glück hat, kann hinuntergehen, wenn die Uhr Mitternacht schlägt, und die einstige Gartentür öffnen und den Geist des Gartens und des kleinen Mädchens sehen.«
    Tom beschäftigte sich in Gedanken unablässig mit dieser Geschichte. Die Erkältung hatte er fast auskuriert und Onkel und Tante bestanden nun darauf, sich an sein Bett zu setzen und ihm Gesellschaft zu leisten. Eines Tages, eigentlich nur vor sich hin murmelnd, sagte Tom: »Als Mr Bartholomew noch in diesem Haus gelebt hat –«
    »Aber ich glaube nicht, dass Mr Bartholomew jemals hier gelebt hat«, sagte Tante Gwen. »Was meinst du, Alan?«
    Onkel Alan antwortete zunächst nicht, er steckte tief in einem Schachproblem, mit dem er Toms Interesse nicht hatte wecken können.
    »Aber Tante Gwen«, widersprach Tom, »das war das Haus seiner Familie. Wie konnte er denn sonst die Geschichte dieses Hauses kennen und auch die Geistergeschichten? Wie hätte er sie denn sonst Mrs Bartholomew erzählen können?«
    »Hör mal, Tom –«, sagte die Tante verwundert.
    »Mr Bartholomew, wer immer er war, hat nie in diesem Haus gelebt«, sagte Onkel Alan jetzt entschieden. »Mrs Bartholomew war Witwe, als sie hierher zog, und das ist übrigens nicht allzu viele Jahre her.«
    »Aber was ist mit der Uhr?«
    »Welcher Uhr?«
    »Der Standuhr im Flur. Ihr habt gesagt, sie gehöre Mrs Bartholomew; aber diese Uhr war immer in diesem Haus. Sie war schon vor langer, langer Zeit hier – als dieses Haus noch einen Garten hatte.«
    »Nun, wie kommst du darauf, Tom?«, fragte Onkel Alan. Er sprach weniger scharf als sonst, weil er davon überzeugt war, der Junge müsse Fieber haben. Tom suchte noch nach einer Erklärung, mit der er sein Geheimnis nicht verraten würde, als die Tante ihm unerwartet zu Hilfe kam. »Weißt du, Alan, die Uhr ist sicher schon seit langem hier, weil die Schrauben an der Rückseite in der Wand eingerostet sind.«
    »Nun ja, Tom, das mag es etwas erklären«, sagte Onkel Alan. Er tätschelte Toms Hand, um ihn zu trösten. »Die Uhr mag schon lange Zeit hier sein, wie du sagst, und in dieser Zeit sind die Schrauben eingerostet. Danach konnte man die Uhr nicht mehr entfernen, ohne Gefahr zu laufen, sie zu beschädigen. Als die alte Mrs Bartholomew hierher kam, musste sie mit dem Haus auch die Uhr kaufen. Siehst du, Tom? Es ist alles ganz einfach, wenn du der Sache auf den Grund gehst.«
    Von da an setzte Tom keine Hoffnungen mehr auf Mrs Bartholomew.
    Dass Hatty vielleicht ein Geist sein könnte, blieb jedoch in seinen Gedanken haften – ganz hinten in seinem Kopf. Es war ihm nicht einmal richtig klar, dass er diese Vorstellung noch hegte, bis sie eines Tages im Garten zum Anlass eines Streits mit Hatty wurde. Es war ihr einziger richtiger Streit.
    Sie waren gerade dabei, mit dem Bau ihres Baumhauses in den Stufen von St. Paul zu beginnen. Wie üblich gab Tom die Anweisungen, während Hatty die Arbeit machte und Äste zusammenzog und verflocht, um Wände zu bauen. Der Boden – aus alten Brettern, die Hatty im Gartenschuppen gefunden hatte – war schon fertig.
    Während der Arbeit sang Hatty Volkslieder und Balladen. Gerade sang sie das Ende der Ballade von der Süßen Molly Malone:
    »Ihr Geist schiebt die Karre Durch Gassen fern und nahe, ›Muscheln und Krebse‹, singt sie, ›Lebendig – lebendig – und wie!‹«
    Und sie summte und murmelte den Refrain immer wieder vor sich hin: »Lebendig – lebendig – und wie!«
    Plötzlich sagte Tom – es sprudelte aus ihm heraus, bevor er sich besinnen konnte: »Wie ist das eigentlich – ich meine, wie ist das, tot zu sein und ein Geist zu sein?«
    Hatty hörte sofort auf zu singen, warf ihm über die Schulter einen verschmitzten Blick zu und lachte. Tom wiederholte seine Frage: »Wie ist es, ein Geist zu sein?«
    »Wie das ist?«, sagte Hatty. Sie drehte sich jetzt ganz zu ihm um, legte die Hände auf seine Knie und sah ihm ins Gesicht: »Ja, erzähl es mir, Tom!«
    Einen Moment lang begriff Tom nicht, was sie meinte; dann sprang er auf und rief: »Ich bin kein Geist!«
    »Stell dich nicht so an, Tom«, sagte Hatty. »Du vergisst, dass ich gesehen habe, wie du mir

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