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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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nichts, dir nichts durch die geschlossene Tür zum Obstgarten gegangen bist.«
    »Das beweist, was ich sage!«, sagte Tom. »Ich bin kein Geist, aber die Gartentür ist einer und deshalb konnte ich durchgehen. Die Tür ist ein Geist, der Garten ist ein Geist und du auch!«
    »Nein, bin ich nicht, du bist ein Geist!«
    Sie starrten sich jetzt mit zornerfüllten Augen an. Hatty zitterte. »Du bist doch ein dummer kleiner Junge!«, sagte sie (und widerwillig dachte Tom, dass sie in letzter Zeit offenbar viel zu erwachsen geworden war). »Und du gibst ein dummes kleines Gespenst ab. Was für Kleider du überhaupt trägst! Keiner von meinen Vettern hat hier im Garten jemals in solchen Kleidern gespielt. Solche Sachen für draußen können nicht in unsere Zeit gehören, das weiß ich! Was für Klamotten!«
    »Das ist mein Schlafanzug«, sagte Tom entrüstet, »mein bester Schlafanzug für Besuche! Ich schlafe darin. Und das ist mein Pantoffel.« Den anderen Pantoffel hatte er wie immer oben unter die Wohnungstür geklemmt.
    »Und so läufst du rum, tagsüber, in deinem Schlafanzug?«, lachte Hatty verächtlich. »Und heutzutage ist es auch Mode, nicht wahr, nur einen Pantoffel zu tragen? Wirklich, du musst dumm sein, wenn du solche Ausreden erfindest! Du hast merkwürdige Sachen an, die heutzutage keiner trägt, eben weil du ein Geist bist. Außerdem bin ich der einzige Mensch im Garten, der dich sehen kann! Ich kann nämlich Geister sehen.«
    Hatty, dachte Tom, würde ihm die wahre Erklärung für seine Kleidung nie abnehmen, und ihm fiel ein knapperes Widerwort ein: »Weißt du, dass ich meine Hand durch dich hindurchstrecken könnte – jetzt –, als ob du gar nicht da wärst?«
    Hatty lachte.
    »Ich könnte es – ich könnte!«, rief Tom.
    Sie zeigte mit dem Finger auf ihn: »Du bist ein Geist.«
    In einer Anwallung von Zorn versetzte ihr Tom einen Schlag auf das ausgestreckte Handgelenk. Viel Willenskraft und viel Muskelkraft steckten in diesem Schlag, und seine Hand ging einfach hindurch – wenn auch nicht gerade wie durch bloße Luft, denn Tom spürte etwas und Hatty zog die Hand zurück und rieb sie mit der anderen. Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, doch das konnte nicht wegen des Schmerzes sein, denn die Empfindung war nicht stark genug gewesen. Hatty, die sich jetzt wild verteidigte, stachelte Tom noch weiter auf: »Deine Hand ist nicht durch mein Handgelenk gegangen; mein Handgelenk ist durch deine Hand gegangen! Du bist ein Gespenst mit einer grausamen Gespensterhand!«
    »Hörst du mich?«, rief Tom. »Du bist ein Gespenst und ich habe es bewiesen! Du bist mausetot und ein Gespenst!«
    Daraufhin trat Stille ein. Er hörte den stotternden Ruf eines Kuckucks im Wald jenseits des Gartens; und dann begann Hatty leise zu weinen. »Ich bin nicht tot – oh, bitte, Tom, ich bin nicht tot!« Nun, da sie aufgehört hatten sich zu streiten, war sich Tom der Wahrheit doch nicht mehr ganz sicher; er wusste nur, dass Hatty so heftig weinte wie noch nie, seit er sie als ganz kleines Mädchen gesehen hatte, in schwarzer Trauerkleidung den Sonnenuhrweg entlanggehend und schrecklich weinend – weinend, weil der Tod so früh gekommen war.
    Er legte den Arm um sie: »Schon gut, Hatty! Du bist kein Gespenst, ich nehm alles zurück – alles. Wenn du nur nicht mehr weinst!«
    Er tröstete sie; und endlich war sie bereit, ihre Tränen zu trocknen. Sie fing wieder an, die Äste zusammenzubinden, dabei nur hin und wieder schniefend. Tom kam nie mehr auf dieses Thema zurück, das sie so heftig aufwühlte. Doch er glaubte es sich schuldig zu sein, wenn er ein wenig später sagte: »Aber hör mal, ich bin auch kein Gespenst!« Dies, so war aus ihrem Schweigen zu schließen, gestattete ihm Hatty.

Forschungen
    U nd dennoch. Zwar hatte Tom Hatty beruhigt, doch er erwog weiterhin den Gedanken, dass sie ein Geist sein könnte, und dies aus zwei Gründen. Erstens schien es gar keine andere Möglichkeit zu geben, und zweitens – und Tom musste einsehen, dass dies die schlechtere Alternative war –, wenn Hatty kein Geist war, dann war er selbst vielleicht einer. Vor diesem Gedanken schreckte Tom zurück.
    Am Nachmittag ihres Streit war Tom – auch wenn er dies sorgfältig vor Hatty verbarg – von der Art und Weise, wie sie ihre Meinung begründet hatte, beeindruckt gewesen. Sie hatte den sicheren Blick eines Mädchens für Kleidung, und bei dieser Gelegenheit hatte sie ihn gegen ihn gerichtet. Tom wünschte

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