Als die Uhr dreizehn schlug
schloss mit dem Hinweis: »Kirche und Universitäten sprachen sich scharf gegen das Tragen von Hosen aus. (Siehe KLEIDUNG)«. Tom glaubte jetzt, genug Wissen gesammelt zu haben, um eine Schlussfolgerung ziehen zu können. Hatty lebte in einer Zeit, in der Männer Hosen trugen, also kann sie nicht vor dem neunzehnten Jahrhundert gelebt haben, als Hosen erst in Mode kamen. Sehr schön. Er erinnerte sich an eine Stelle aus dem Hauslexikon : Und während des neunzehnten Jahrhunderts herrschte in England eine Königin: Viktoria, 1837 bis 1901. Sie musste Hattys Königin sein. Und dann war da der französische Edelmann in Hosen, er gehörte in das frühe Viktorianische Zeitalter. Dahin gehört auch Hatty. Das ist über hundert Jahre her, und wenn Hatty damals ein Mädchen war, muss sie inzwischen tot sein, und was ich im Garten gesehen habe, konnten nur Geister sein. Der Beweis schien Tom hieb- und stichfest, doch um ganz sicherzugehen, prüfte er ihn mit einer weiteren Frage gegen, was den Onkel sicher gefreut hätte. Was war mit den langen Röcken, die die Frauen im Garten trugen? Wann waren die in Mode gewesen?
Inzwischen war Tante Gwen vom Einkäufen zurück und Tom lag im Bett, als ob nichts gewesen wäre. »Nun, Tom, lange Röcke waren immer in Mode, bis vor nicht allzu langer Zeit. Bestimmt bis zum Ersten Weltkrieg.«
»Haben Frauen zum Beispiel auch Röcke getragen, als Königin Viktoria den Thron bestiegen hat?«
»O ja, während der ganzen Regierungszeit Königin Viktorias und danach auch noch«, sagte die Tante. »Sicher gibt es heute noch viele Menschen, die sich noch gut an die langen Röcke erinnern!«
Tom allerdings interessierte es nicht, dass solche Röcke noch vor nicht allzu langer Zeit in Mode gewesen waren. Seine Aufmerksamkeit galt einer fernen Vergangenheit und dem Beweis, dass Hatty damals gelebt hatte und jetzt ein Geist war – ein kleiner Geist aus den Anfängen des Viktorianischen Zeitalters. Gut, all sein Wissen deutete geradewegs in diese Richtung. Nun, da die Frage zufriedenstellend geklärt war, wandte er sich anderen Dingen zu.
Die Aussicht von der Mauer
W ir haben dem Gang des Geschehens, wie Tom es erlebte, ein wenig vorgegriffen, indem wir seinen Forschungen über die Vergangenheit und seinen Gedanken darüber gefolgt sind. Das Baumhaus, in dem er sich mit Hatty stritt, bauten sie erst einige Zeit nach der Geschichte mit den Gänsen und der morgendlichen Begegnung mit der kleinen Hatty. Als Tom nach diesen Geschehnissen wieder in den Garten kam, glaubte er zunächst, er hätte Hatty für immer verloren. Der Garten schien vollkommen ausgestorben zu sein.
Er rief nach Hatty und suchte all ihre üblichen Verstecke ab. Er rannte atemlos um den Stamm der Tanne herum und glaubte schon zu hören, wie sie mit ihren Pantoffeln flink über die trockene Erde huschte, um seinem Blick zu entgehen. Doch wenn Hatty sich versteckt haben sollte, dann besser als je zuvor, und der Garten kam ihm nun vor wie eine große Einöde.
Oberhalb der Südmauer sah er einen Rauchfaden senkrecht in die linde, ruhige Sommerluft emporsteigen. Vielleicht verbrannte Abel Unkraut. Vor der Tür zum Obstgarten blieb Tom stehen und überlegte, ob er sich hindurchzwängen sollte. Abel konnte ihn vielleicht auf die Spur Hattys bringen.
Da öffnete sich die Tür und Hatty kam in den Garten. Urplötzlich verwandelte sich Toms Angst in Ärger, besonders, da Hatty keineswegs besorgt aussah – eher aufgeregt, ja sogar vergnügt. Ihr Gesicht war gerötet und das Feuer hatte eine Wange mit Ruß geschwärzt. Sie trug etwas in der Tasche ihres Kleids.
»Warum hast du nicht geantwortet?«, verlangte Tom zu wissen. »Hast du mich nicht gehört? Ich habe dich gerufen, gerufen und nochmals gerufen.«
»Ich hab Abel mit dem Feuer geholfen.«
»Du hättest doch einfach hingehen und die Obstgartentür aufmachen und mich durchlassen können. Mir gefallen Gartenfeuer auch.«
»Dieses Feuer hättest du nicht gemocht – wenn du gewusst hättest, was wir darin verbrannten.« Sie sah ihn widerborstig an.
»Ach, und was habt ihr verbrannt?«
Nun verlor sie den Mut und senkte den Blick; doch schließlich sagte sie: »Den Bogen und die Pfeile. O Tom, es war Abel, der sie verbrennen wollte!«
Tom schwieg, denn er ahnte, was Abel sich dabei gedacht hatte. Er hatte immer gesagt, der Bogen könne Hatty in Schwierigkeiten bringen, und so war es auch gekommen.
Hatty fuhr fort: »Und außerdem wollte er, dass ich verspreche, keine Messer
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