Als die Welt zum Stillstand kam
guten Zweck.
»Und das Schlimmste: Eure Familien könnten euch da wahrscheinlich gar nicht zuhören, weil sie ja hier draußen zu tun haben.«
Betretene Gesichter überall, ein kleiner Junge schluchzte. Schnell redete Celie weiter: »Aber ich habe eine viel bessere Idee. Wir machen unser eigenes Konzert, hier draußen! Ihr könnt jeden einladen, den ihr dabeihaben wollt, eure Eltern, Freunde und jeden anderen auch.«
»Kann ich auch meine Tante Sue einladen?«, fragte der Junge, der eben noch geschluchzt hatte.
»Aber klar!«, sagte Celie. »Wir machen das Konzert am Samstagnachmittag, und zwar am Strand, da haben alle Platz. Das wird ein Riesenfest!«
Es dauerte noch eine Weile, aber Celie schaffte es, die Kinder zu überzeugen, dass es so viel besser war. Und dazu brauchte sie sich nicht einmal anzustrengen. Sie war ja selbst überzeugt davon. Diese Kinder brauchten die Anerkennung der Kommune nicht. Sie lebten hier draußen, das war ihre neue Heimat. Hier sollten sie sich einrichten und nicht ständig mit einem Auge zur wunderbaren großen Stadt schielen. Je früher sie sich hier zu Hause fühlten, desto besser.
Es war schon kurz vor der Ausgangssperre, als Celie mit ihrem Bike wieder am Stadttor ankam.
Nach der Probe hatten die Kinder sie noch überredet, mit ihnen zu kommen. Sie wollten auf der Stelle jeden, den sie kannten, zum Konzert einladen. Und Celie sollte dabei sein, damit man ihnen die unglaubliche Neuigkeit auch abnahm.
Celie war seit dem Ausfall der Tore nicht mehr so lange draußen gewesen. Zum ersten Mal bekam sie hautnah mit, wie die Menschen hier lebten. Celie war beeindruckt und beschämt zugleich. Sie traf fast nur freundliche, schwer arbeitende Menschen. Egal, woher sie kamen und was sie in ihrem früheren Leben gewesen waren: Jetzt bauten sie unverdrossen an ihren Häusern, Strom- und Wasserleitungen, bestellten die Felder – von deren Früchten sie den größten Teil an die Kommune abgeben mussten – und richteten sich in ihrem neuen Leben ein. Obwohl es jeden Tag neue Beschränkungen und Anordnungen aus der Stadt gab, murrten die meisten nicht, sondern waren dankbar für die Chance, die sie bekamen.
Viele schienen gar nicht zu wissen, was in der Stadt vor sich ging und dass die Stimmung sich dort immer mehr gegen »die Schmarotzer da draußen« wandte. Oder sie wollten es nicht wissen.
Tief in Gedanken, passierte Celie das Stadttor. Darum fiel ihr zuerst gar nicht auf, dass die Menschen um sie herum stehen blieben, auf sie zeigten und miteinander tuschelten. Erst als ein bärtiger Mann direkt vor ihr brummte: »Weiter so, das machen Sie ganz wunderbar!«, blickte sie auf. Mehrere Leute in der Nähe nickten ihr lächelnd zu, als sie weiterfuhr.
Celie radelte schnell zur Musikschule.
»Ah, da ist ja unser Engel mit der Klarinette«, rief Tamila. Pietro winkte aus dem Nebenzimmer und zeigte mit dem Daumen nach oben.
»Engel?«, fragte Celie irritiert.
»Du weißt es noch gar nicht?« Tamila grinste. »Seit der Sondersendung heute Morgen bist du eine Berühmtheit.« Sie schaltete die Screen an der Wand ein. »Hier, sieh es dir selbst an.«
Es begann wie ein Kriegsfilm. Celie sah eine Schlägerei inmitten alter Armee-Cubes. Eine Karawane aus Bikes und Wagen voller Kartoffeln, Äpfel und Fleisch aus den Viehzuchtbetrieben im Umland, die von Flüchtlingen angegriffen, aber von der allgegenwärtigen Security erfolgreich verteidigt wurde. Eine Handvoll aufgebrachter Menschen, die Hassparolen gegen Jason schrien. Dazu der Kommentar: »Sie sind zu uns gekommen und wir haben ihnen ein neues Zuhause gegeben. Doch viele der Flüchtlinge wollen mehr, als ihnen zusteht, und sie versuchen, es sich mit Gewalt zu nehmen. Das werden wir nicht zulassen. Jede Gewalttat, jeder Angriff auf die Versorgungslieferungen und jede Anstiftung zum Aufruhr wird unerbittlich verfolgt und schonungslos geahndet. Nur so können wir verhindern, dass unsere Welt im Chaos versinkt. Nur so können wir unsere neue Welt in der Nach-Tor-Ära aufbauen.«
Das klang haargenau wie eine von Jasons Reden. Offenbar hatte man im Sender die unabhängige Berichterstattung inzwischen völlig aufgegeben.
Das alles war schon gruselig genug, aber es wurde noch schlimmer. Als sie die nächsten Bilder sah, ließ Celie sich schwer auf einen Stuhl fallen. Das war sie! Mit ihrem Transport-Bike voller Instrumente, auf dem Weg zum Unterricht draußen. Ihre Fahrt durch die Felder und zum Strand war mit fröhlicher Musik hinterlegt und
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