Als die Welt zum Stillstand kam
Verbrechen begehen. Und alte Verbrechen auf neue Art … Na ja, jedenfalls kursiert unter den Tortechnikern das Gerücht, dass bei solchen Experimenten alles, was außerhalb des Beambereichs liegt, wie mit einem Messer abgeschnitten wird.«
Bernie schnaubte. »Dafür braucht man aber nicht viel Fantasie. Genau so stellen sich die Vid-Macher das schon seit Jahren vor.«
»Stimmt«, sagte Camille. »Aber das ist noch nicht alles.« Sie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr. »Man sagt, dass an der Schnittstelle kein Blut austritt.«
»Klingt nach einem billigen Horror-Vid«, sagte Bernie abschätzig.
Camille steckte sich einen neuen Kaugummi in den Mund. »Finde ich auch«, sagte sie unbekümmert. »Und das mit der Zellzersetzung, die dann einsetzen soll und angeblich das komplette Lebewesen auflöst, das halte ich erst recht für totalen Unsinn.«
Sie drehte sich zu Bernie um und runzelte die Stirn.
»Bernie? Was ist los?«
Aber Bernie hörte sie nicht. Er war wieder bei den Kranens, am Tag der Abifeier, als Jenna gestorben war. Er hatte sie zum Tor am Rand des Waldes getragen. Er hatte gesehen, wie Celie den Verband auf Jennas Schulter gedrückt hatte, wo kurz zuvor noch ihr Arm gewesen war. Die Schulter, aus der unerklärlicherweise überhaupt kein Blut austrat. Und er hatte mitbekommen, dass Celie den Verband immer wieder neu befestigen musste, weil er sich ständig lockerte.
Zellzersetzung. Das konnte die Erklärung sein. Das musste die Erklärung sein.
»Bernie? Bernie!«
Daraus, dass Camille sich über ihn beugte, schloss Bernie, dass er hingefallen war. In seinen Ohren rauschte es. »Mir geht’s gut«, murmelte er.
Mit Camilles Hilfe kam er wieder auf die Beine. Er machte einige unsichere Schritte – als Camille sich plötzlich auf ihn warf und er wieder zu Boden ging.
»Pssst!«, flüsterte sie. »Outlaws!«
Kapitel 3
Aus Jennas Tagebuch:
2. April 2021
Ich habe es getan. Und obwohl ich wusste, dass das Transtorq hundertprozentig funktioniert, war mir schlecht vor Aufregung, als ich mich in die Kabine gestellt und den Beamvorgang eingeleitet habe. Und dann noch das Warten, bis der DNA-Analyser so weit war – fast eine halbe Stunde hat das gedauert!
Aber das Warten hat sich gelohnt. Das Beamen hat nicht die geringsten Nebenwirkungen verursacht. Das haben wir im Grunde auch dadurch ausgeschlossen, dass das Beamen erst dann stattfindet, wenn die Analyse komplett ist. Sollte dabei irgendein Fehler auftreten, wird erst gar nicht gebeamt. So verhindern wir, dass es zu einem Unfall oder einer Teilbeamung kommen kann.
Etwas enttäuschend, aber beim Beamen selbst habe ich überhaupt nichts gespürt. Da es nahezu in Lichtgeschwindigkeit vonstattengeht, war das aber auch nicht zu erwarten.
Länger dauert es schon, mir zu überlegen, wie ich es Felix sagen soll …
Irland, Kranen-Anwesen
Superintendent Dafina Bright öffnete die Torkabine am Rand des kleinen Waldes, nahm den Teddy heraus, den sie nun schon an die zweihundert Mal gebeamt hatten, und trottete über den gepflegten Rasen des Parks zurück zur Kranen-Villa. Sie benutzte nicht das MoPad und sie hatte es auch nicht eilig, ins Labor zu kommen, obwohl Pierre Weiß ungeduldig wartete. Sie wusste nicht, wie sie ihm beibringen sollte, dass auch dieser Beamversuch völlig normal verlaufen war. Und dass sie die Untersuchung heute offiziell abschließen würde.
Andererseits: Je länger er warten musste, desto wütender wurde er. Dafina legte einen Schritt zu und betrat kurz darauf das Labor, den Teddy halb hinterm Rücken versteckt. Aber Pierre bemerkte ihn natürlich trotzdem.
»Scheiße, shit, tamade 3) !!«
3) tamade: Scheiße (Hindi)
Mit seinen mächtigen Pranken griff er nach dem erstbesten Stuhl und schleuderte ihn durch das Holo-Analyseboard hindurch gegen einen der deckenhohen weißen Schränke.
»Das ist doch einfach unmöglich, UN-MÖG-LICH!!«
Obwohl der Tortechniker gut zwei Köpfe größer war als sie und bestimmt dreimal so schwer, blieb Dafina ruhig. In den letzten Wochen hatte sie gelernt, dass es überhaupt nichts nutzte, wenn sie auf seine Ausbrüche mit Angst oder Zorn reagierte. Ihre Stimme jedoch hatte manchmal eine besänftigende Wirkung auf ihn. Also fing sie an zu reden, ganz langsam, wie zu einem tobenden Kind.
»Wir haben dieses Tor jetzt wochenlang gecheckt. Wir haben jede Schaltung geprüft und jede Schraube so gründlich analysiert, dass wir ein zwanzigbändiges Werk über dieses Tor schreiben
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