Als die Welt zum Stillstand kam
gewirkt. Friedlich irgendwie. Jetzt, wo es direkt über seinem Kopf mit geschätzten 70 Dezibel ertönte, hatte das mit Idylle nichts mehr zu tun.
Doch es war ja nicht nur die Wildnis. Es war auch Camille Durand.
Tortechniker waren Bernies Helden, schon immer gewesen. Schließlich waren sie die Herrscher über die genialste Erfindung, die es je gegeben hatte. Unglaublich intelligente Männer und Frauen, die mit der heisenbergschen Unschärferelation genauso gut umgehen konnten wie mit einem Schraubenzieher. So was wie Einstein und Superman in einer Person.
Umso erstaunlicher, dass Camille Durand das Studium und die praktische Ausbildung zur Tortechnikerin geschafft hatte. Besonders intelligent kam sie ihm nicht vor – und das lag nicht nur an der rosa Perücke, den Lidtattoos oder den mindestens zehn Halsketten aus Korallenimitat, die sie aussehen ließen wie eine Sechzehnjährige auf einer Flash-Party. Nein, sie trottete auch die ganze Zeit wortlos vor ihm her. Dabei sollte sie ihn doch ausbilden! Bei der Studienberatung hatten sie noch betont, dass jedem Studenten in einem ausgeklügelten Verfahren der passende Ausbilder zugeteilt wurde. Tja, bei Bernie hatten sie voll versagt.
Mit Camilles technischer Begabung war ebenfalls nicht viel los. Wie sich zeigte, als der Roachy, der ihre gesamte Ausrüstung trug, sich plötzlich nicht mehr rührte.
Camille umrundete das meterhohe Metallinsekt einmal mit gerunzelter Stirn, dann zuckte sie die Achseln und setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm.
Bernie wartete. Camille zog einen Kaugummi aus ihrem schicken Overall, der zurzeit blaumetallic glänzte, und wickelte in aller Ruhe einen Streifen aus. Und noch einen. Und noch einen.
»Äh – und was machen wir jetzt?«, fragte Bernie nach einer Weile.
Camille zuckte die Achseln.
»Ich könnte mir den Roachy ja mal ansehen«, schlug Bernie vor.
»Wenn du meinst«, war alles, was sie dazu sagte.
Sie musste sich irgendwie durch die Prüfungen geschummelt haben, anders konnte Bernie sich das nicht erklären. Wahrscheinlich wusste er jetzt schon mehr über die Tore als sie …
Bernie kannte sich mit Roachys aus. Vor allem hatte er natürlich Erfahrung mit solchen, die, wie auf der Plantage seiner Eltern, in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Bei denen kam es vor allem darauf an, dass die Beine eine möglichst geringe Auflagefläche hatten und immer in dieselben »Fußstapfen« traten, sodass so wenig Anbaufläche wie möglich beim Ernten zerstört wurde. Bernie traute sich aber auch zu, andere Roachy-Typen zu reparieren, egal wie unterschiedlich sie waren und wie viele Beine sie hatten. Roachys, die gefährliches oder unwegsames Gelände auf der Erde oder im All erkundeten, waren zum Beispiel leichter gebaut und hatten Beine, die mit jedem Untergrund klarkamen. Die zwei- oder vierbeinigen Laufroboter, die als Rollstuhlersatz dienten – Alex’ Oma hatte so einen –, waren aus Stabilitätsgründen sehr viel schwerer, und bei den vierbeinigen waren die Beine unter einer zusammenschiebbaren Plattform angebracht, sodass auch enge Treppen kein Problem für sie darstellten.
Das Modell, das Bernie jetzt vor sich hatte, war gut einen Meter hoch und konnte trotz seines geringen Gewichts von fünfzehn Kilo bis zu vierhundert Kilo tragen. Außerdem hatte dieser Roachy sechs Beine, von denen die vorderen beiden mit hochsensiblen Greifhänden ausgestattet waren.
Zuerst prüfte Bernie die Steuereinheit, aber da schien alles in Ordnung zu sein: die Sensoren, das »Gehirn«, das auf vernetzter Intelligenz basierte und dem Roboter autonomes Gehen ermöglichte, die verschiedenen Sensoren … Trotzdem hatte sich der Laufroboter abgeschaltet und er ließ sich nicht wieder einschalten.
Bernie klickte die Abdeckplatte zu.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Camille gelangweilt. Sie hatte sich auf dem umgefallenen Baum ausgestreckt und las irgendwas auf ihrem MoPad. Bernie antwortete nicht. Eher würde er den Rest seines Lebens hier im Wald zelten, als Camille um Hilfe zu bitten! Er ließ sich auf die Knie hinunter und umrundete den Roachy langsam auf allen vieren. Dabei berührte er jede Strebe, jedes Gelenk an jedem der sechs Beine, damit ihm keine noch so kleine Auffälligkeit entging. Und schließlich entdeckte er es: ein kleines Zweigstück, das sich im unteren Gelenk des linken mittleren Beins verhakt hatte. Die Verkleidung des Gelenks hatte ein Loch und genau da hatte sich der Zweig hineingebohrt. Bernie entfernte ihn,
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