Als die Welt zum Stillstand kam
weiter.
Er würde erst schlafen, wenn es dunkel wurde, und beim ersten Sonnenstrahl wieder aufbrechen. Er mochte ja kein Bike mehr haben, aber er konnte bestimmt siebzehn oder achtzehn Stunden am Tag laufen. Und genau das würde er tun. Jeden Tag. Bis er Celie gefunden hatte.
Auf der A10
Zehn Stunden später wäre Alex froh gewesen, wenn er nur eine einzige Stunde am Tag hätte gehen können. Stattdessen hockte er auf einer harten Bank in einer ehemaligen Raststätte. Und er würde noch eine ganze Weile dort bleiben – wenn Agathe und Nuray ihn nicht vor die Tür setzten.
Die Raststätte war nach 2024 umgebaut und als Co-House genutzt worden. Die beiden alten Frauen waren die Einzigen, die von den Bewohnern noch übrig waren. Alle anderen waren unterwegs, wie der Rest der Menschheit auch. Agathe und Nuray hatten ihr Zuhause inzwischen zu einer Anlaufstelle für Durchreisende gemacht. Sie verteilten Schlafstellen, gaben Decken aus und manchmal auch eine Mahlzeit. Aber das Beste war: Hier gab es Wasser, aus einer altmodischen Handpumpe hinterm Haus, und ein See war auch nicht weit entfernt. Dafür verlangten die beiden Frauen etwas zu essen oder etwas anderes Nützliches, je nachdem, was die Übernachtungsgäste entbehren konnten.
Alex hatte in der letzten Nacht erst Pause gemacht, als er die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Damit konnte er natürlich auch von niemand anderem gesehen werden und darum hatte er sich einfach auf dem Seitenstreifen ausgestreckt. Das war ihm weniger unheimlich, als in eines der verlassenen Häuser zu gehen. Außerdem würde er garantiert noch oft unter freiem Himmel schlafen müssen, da konnte er sich auch gleich daran gewöhnen.
Er stopfte sich den Rucksack als Kissen unter den Kopf und zog die Beine an, um möglichst viel von seinem Körper mit der langen Jacke bedecken zu können. Der Akku der Heizung seiner Jacke war nach dem sonnigen Tag voll aufgeladen, darum hatte er es kuschelig warm. Aber er konnte trotzdem lange nicht einschlafen.
Die Leute, die die Zeit vor den Toren nicht nur als kleines Kind mitbekommen hatten so wie er, die hätten ihn sicher ausgelacht. Aber Alex hatte noch nie woanders als in einem bequemen Bett geschlafen. Und immer war jemand, den er kannte, bei ihm gewesen – zumindest im Zimmer nebenan. Seine Ma, sein Dad oder ein Freund. Er umschloss das MoPad in seiner Tasche mit einer Hand und stellte sich vor, dass Ma und Bernie und vielleicht auch Celie jetzt an ihn dachten und ihn ebenso vermissten wie er sie.
Ob es in Celies Kommune wohl auch einen Orangenbaum gab wie bei ihr zu Hause? Wenn es ihr schlecht ging, saß sie immer unter diesem Baum, hinten beim Wäldchen des Kranen-Anwesens, und spielte Mundharmonika. Sie wäre terasauer, wenn sie wüsste, dass Alex ihren geheimen Ort kannte. Doch wie es jetzt aussah, würde sie es sowieso nie erfahren …
Alex drehte sich um, aber das war auch nicht bequemer. Nicht nur, dass er allein war und kein Bett hatte – ihm steckte auch noch der Angriff der Muppets, die ihm das Bike geklaut hatten, in den Knochen. Er hielt in der Dunkelheit Ausschau nach gefährlich aussehenden Typen, bis ihm die Augen tränten. Und je länger er wach lag, desto unbequemer wurde es auf dem harten Asphalt. Alex war sicher, dass er in dieser Nacht kein Auge mehr zumachen würde …
Als er nach kurzem Schlaf wach wurde, war es noch dunkel, aber die Vögel machten schon einen Heidenlärm. Einen Moment lang wusste Alex nicht, wo er war, und tastete neben sich nach Celie. Celie, die eben noch gestöhnt hatte, als er jede Sommersprosse auf ihren Brüsten einzeln geküsst hatte …
Shit. Komm wieder runter, Mann. Alex zog sein MoPad hervor und entrollte das Display. Kein Netz, natürlich nicht. Aber wenigstens verriet das MoPad ihm die Uhrzeit: halb fünf.
Alex tastete in seinem Rucksack nach Brot und Käse und frühstückte, während es dämmerte. Was hätte er jetzt nicht alles für eine Dusche und frische Klamotten gegeben! Aber er würde sich wohl an den Gestank gewöhnen müssen.
Als er aufstand, war es immer noch nicht richtig hell, aber es reichte, um halbwegs zu erkennen, wohin man trat. Alex ging langsam, den Blick auf den Boden gerichtet, um Hindernissen auszuweichen. Und um nicht auf die schlafenden Menschen zu treten, die hier und da herumlagen. Das klappte ganz gut, und eine halbe Stunde später war es so hell, dass Alex schneller gehen konnte. Nun wachten auch die anderen Schlafenden nach und nach auf, und
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