Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
das Bedürfnis hatte, außer Franzl auch andere Gesprächspartner zu haben. Sie war ja nicht dienstverpflichtet. Sie arbeitete überhaupt nicht, wahrscheinlich hatte sie es auch noch nie getan. So hatte sie sicher oft das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Ihr Mann weit weg, Franzl erwachsen. Was musste doch die Hoffnung, ihren Mann wiederzusehen, diese Frau stärken und sie aufrecht halten.
Solange ich diese Freundschaft genoss, habe ich sie nie klagen gehört. Sie glaubte einfach fest daran, dass eines Tages alles gut würde. Sie zeigte mir einmal die Kleider in ihrem Kleiderschrank, der eine ganze Zimmerwand einnahm. Es war ihr Ankleidezimmer mit einem großen, wunderschönen Spiegel an der Wand, einem Schminktisch, einem Sessel und einer Couch. Alles war farblich aufeinander abgestimmt, sogar die Gardinen und der Teppich. Als sie den Schrank öffnete, holte sie einzelne Kleider heraus. »Diese spare ich auf für den Tag, an dem Vati zurückkommt.« Drei Pelzmäntel in Kleidersäcken, nicht gleich erkennbar, hingen dazwischen. Frau Stern meinte, sie brachte es nicht fertig, diese Mäntel abzugeben, als alle Besitzerinnen von Pelzen aufgefordert wurden, ihre Pelzsachen für Frontsoldaten abzuliefern. Nun, man konnte sich schon die Frage stellen, was Damenmäntel den Soldaten an der Front nützten.
Mein nächster Besuch bei Frau Stern war für Freitag vorgesehen. Franzl schlug vor, ich sollte es so einrichten, dass ich bis zum Abend bei ihnen bleiben könnte. Freitags hatten wir um zwölf Uhr Schulschluss. Dann würde es sich auch lohnen, den Nachmittag zu gestalten. Am Wochenende war noch genügend Zeit für die aufgetragenen Hausaufgaben. Meistens waren sie spielend zu bewältigen. Hedy wunderte sich, dass ich diesen schulfreien Nachmittag wieder bei Frau Stern genießen wollte, bisher hatte ich fast meine gesamte Freizeit mit Hedy und Max verbracht.
Oftmals machten wir Ausflüge, wenn die Verbindungen günstig waren. Moritzburg lernte ich so kennen. An einem Sonntag fuhren wir zur Besichtigung zum Schloss Pillnitz, und im Stadtteil Hosterwitz interessierte ich mich für das Sommerhaus von Carl Maria von Weber. Den zauberhaften Rosengarten besuchten wir zur schönsten Blütezeit. Nicht genug konnte ich kriegen von all den herrlichen Rosen.
Meine Gedanken gingen eigene Wege. Was würde das herrlich sein, wenn der Krieg erst vorbei wäre! Wenn Normalität wieder regierte. In Gedanken malte ich mir aus, einen netten Mann zu heiraten und liebe Kinder zu bekommen. Ich stellte es mir schön vor, hier in Dresden oder Umgebung zu leben. Nach einem solchen Tag voller Gefühle, voller Begeisterung, schwor ich mir, für immer hierzubleiben. Dazu gehörten auch all meine Freunde, die ich hier gewonnen hatte. Ich fühlte mich in ihrer Gesellschaft wohl und vermisste dadurch auch nicht mehr so schmerzlich meine alte Heimat. Dies war nun meine neue Heimat geworden. Das Erwachsenwerden war fast vollendet und dazu war es auch notwendig, dass ich meinen eigenen Weg ging.
Poldi umhüpfte mich bei der Ankunft voll Begeisterung. Ich hatte Mühe, Frau Stern zu begrüßen. Sie meinte daraufhin, das sei ein gutes Zeichen. Sonst wäre er nicht so zugänglich. Der Kaffeetisch war bereits gedeckt. Ich erspähte tatsächlich Windbeutel! Frau Stern erzählte, dass sie am Morgen mit viel Glück ein bisschen Sahne ergattert hatte. Meine Augen strahlten. Wir unterhielten uns ganz ungezwungen, als Frau Stern mich beiläufig fragte, ob sie mich duzen dürfe. Es spreche sich doch viel besser miteinander. Man komme sich dabei auch näher.
Selbstverständlich willigte ich ein, als sie mir ihre Hand bot.
»Ich heiße Friedel. Wie soll ich dich nennen? Edith klingt ein bisschen antik.«
»Nun«, sagte ich, »mein zweiter Name ist Ursula. Meine Tanten und Großmutter nennen mich meist Ulla.«
»Und dein Großvater? Oder gibt es ihn nicht mehr?«
»Doch, doch«, warf ich schnell ein, »er war der beste Lehrmeister, den es gibt. Er nennt mich Hansli.«
»Wie das denn?«, staunte Friedel, »du bist doch kein Junge.«
»Vielleicht sollte ich einer werden, aber ich hätte es gar nicht gewollt, dass Großvater mich irgendwann anders ruft.«
»Na, so will ich dich aber nicht mit diesem Namen ansprechen, der ist für deinen Großvater reserviert. Wie wäre es mit Didi?«
Ein bisschen schockiert antwortete ich: »Na gut, so heiße ich eben bei euch Didi.«
Franzl lachte verschmitzt: »Bei meiner Mutter ist man vor Überraschungen und
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