Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
konnte nicht mehr aufstehen und brauchte Tag und Nacht intensive Pflege. Oft musste ich in der Nacht mit nur vier Stunden Schlaf auskommen, tagsüber gab es auch nur wenige Pausen. Mitte November nahm er nur noch ganz wenig Nahrung auf, er nahm zusehends ab. Selbst das Trinken musste durch Infusionen ersetzt werden. Das Sprechen hatte er ganz eingestellt. Aber er hörte mir zu, wenn ich mit ihm sprach, und an seinen Augen konnte ich erkennen, dass er mich verstanden hatte. Nach einem sehr unruhigen Wochenende versuchte ich es mit einer Suppe: Gemüse in Fleischbrühe gekocht, ganz fein passiert und in einer Schnabeltasse trinkfähig gereicht. Er trank die Suppe bis zum letzten Tropfen aus. Tränen traten mir in die Augen.
»Mein Gott, du hast gegessen, es geht wieder aufwärts!«
Ich war vom Glück getragen, die Müdigkeit war vergessen, der Himmel lachte. Eine halbe Stunde später begann er schwer zu atmen, rang nach Luft, und seine Augen … es war, als würden sie die Farbe wechseln. Der alarmierte Arzt kam umgehend. Er bat mich, unsere Tochter Esther zu benachrichtigen, sie zu bitten, sofort zu kommen, damit ich nicht mit meinem sterbenden Mann alleine sei. Esther und ich hielten ihm die Hände, streichelten ihn abwechselnd. Esther hatte ein Gebet auf den Lippen, die Bitte im Vordergrund, er möge nicht allzu lange leiden. Nach fast drei Stunden war der Kampf zu Ende. Die Fassungslosigkeit war groß, die Trauer saß tief. Es war kurz vor Weihnachten.
Alles erschien plötzlich so trostlos, ein großes Loch tat sich vor mir auf. Am liebsten wäre ich darin versunken. Vorrangig waren nun all die Formalitäten, das Begräbnis und anderes zu arrangieren, was mir die Töchter alles abnahmen. Sie hatten große Sorge, wie ich alles verkraften würde: den Gottesdienst, das Begräbnis, die vielen Besucher. Ich wusste es selbst nicht genau. Ich war so in meinen Schmerz vertieft, dass es beinahe keine Gegenwart gab. Noch waren die Mädchen bei mir, die jedoch bald wieder in ihren Alltag zurückkehren mussten, wie sollte es weitergehen, wenn alles erledigt war? Ja, aber da war noch Babsi, meine kleine Katze, die mit mir fühlte und ihren Freund jetzt schon vermisste. Babsi ist eine dreifarbige Katze: eine sogenannte Glückskatze, die jeder auffallend schön findet. Und ein Glücksfall ist sie wirklich. Babsi kam zu uns, als Richard amputiert wurde. Eines Abends saß sie vor der Terrassentür, etwa sechs Monate alt. Ich gab ihr Milch und Futter, ließ sie ins Haus und stellte ihr den Katzenkorb bereit, den ich noch von unserem alten Kater Mumpi hatte. Sie legte sich ganz selbstverständlich hinein. Morgens, wenn ich ins Krankenhaus fuhr, ging sie nach draußen, abends wartete sie getreu auf mich. Sie tat mir gut und ich war nicht mehr alleine. Als Richard nach Hause kam, legte sie sich zu ihm aufs Bett. Sie wurde unser beider Freundin und treue Mitbewohnerin.
Für die Zeit meiner geplanten Reise an den Bodensee tauchte nun die Frage auf: wohin mit Babsi? Mir fiel die Tierärztin ein, die ich durch unsere vorherigen Haustiere kennengelernt hatte. Sie bot mir einmal an, als Richard und ich eine Reise vorhatten, dass wir sowohl unsere damalige Katze als auch das Häschen bei ihr in Pension geben könnten, was wir dann auch taten. Nun rief ich sie an, erwähnte mein Vorhaben, und sie sagte zu mir, dass es doch selbstverständlich sei, Babsi zu nehmen. Gleichzeitig würde sie sie auch impfen etc. Meine Reise konnte losgehen. Ich quartierte mich in der Nähe meiner Tante Ines in einem Hotel ein und buchte eine Woche Halbpension. Es war schon sehr warm für Februar. Die ganze Woche war der Himmel strahlend blau, in den Gärten blühten bereits die ersten Frühlingsblumen. All das Neue ließ mich auf andere Gedanken kommen und ich genoss plötzlich, dass ich ein wenig an mich denken konnte.
Meine Tante wohnte direkt am See. Ihr Wohnzimmer, eine einzige Fensterfront, bot einen herrlichen Blick auf das Wasser. Man konnte die Insel Reichenau erkennen. Es war das reinste Feuerwerk voller Lichtreflexe. Tagsüber hatten Enten, Schwäne und Vögel das Sagen. Die vielseitigen Beobachtungsmöglichkeiten ließen keinerlei trübe Gedanken zu. Ich genoss die schönen Tage. Am Montag war ich angekommen, am Samstag startete die Geburtstagsfeier auf Schloss Freudenthal. Meine Cousinen reisten erst am Samstag an und fuhren bereits am Sonntagmittag zurück, bedingt durch Beruf oder sonstige Verpflichtungen. Meine Schwester und ihr Mann kamen am
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