Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
ganzen Feiertage, aber zur Abwechslung ging ich ein paarmal Schlittschuhlaufen. Im Dorf war ein Fischteich. Wenn er zugefroren war, wurde er für diesen Zweck freigegeben. Allerdings machte es mir allein nicht so viel Spaß. Von der Dorfjugend kannte ich niemanden. Da Hedy und Max am Eingang des Ortes wohnten, kam ich überhaupt nicht mehr in die Dorfmitte. Der Teich war mir deshalb bekannt, weil ich, wenn ich Helmut vom Kindergarten abholte, an ihm entlang musste. Zwischen Weihnachten und Neujahr wollte ich also nochmals laufen. Gerade hatte ich meine Schlittschuhe angelegt, als ein größerer Junge (genau einen Kopf größer als ich) auf mich zukam.
»Was willst du denn hier?«, pöbelte er mich an.
»Was geht dich das an? Aber offensichtlich Schlittschuh laufen!«, gab ich zurück. Ich überblickte rasch den Teich und stellte fest, dass kein anderes Mädchen anwesend war.
»Ich sage dir, verschwinde bloß«, sprudelte es aus ihm heraus. Er kam auf mich zu, schubste mich, dass ich Mühe hatte, mich auf den Schlittschuhen zu halten.
»Lass die Finger von mir!«, drohte ich ihm.
»Was willst du Zwerg, mit dir werde ich noch fertig!«
Wie es dazu kam, weiß ich nicht. Meine Hand rutschte mir einfach aus und klatsch, landete sie auf seiner linken Wange. Ehe er reagieren konnte, sagte ich ganz ruhig:
»So, das kommt davon, wenn man ein Mädchen verjagen will.« Das Gelächter der übrigen Jungs war groß, als er sich wieder auf den Teich zu bewegte. Ich schnallte meine Schlittschuhe ab und machte mich auf den Heimweg. Beim Weggehen bemerkte ich, dass der Dorfpolizist, neben seinem Fahrrad stehend, die Szene beobachtet hatte.
Hedy staunte, als ich so schnell wieder auftauchte: »Na, meine Gute, hast du doch keine Lust?«
»Nein«, erwiderte ich, »es waren ja keine Mädchen da.« Gleich am Montag erfuhr Hedy von dem Polizisten, was vorgefallen war.
»Alle Achtung, das Mädchen kann sich wehren!«, meinte der anerkennend.
Wie gut, dass die Feiertage vorüber waren. Erika freute sich genauso. Sie schlug vor: »Wir haben ein wenig aufzuholen. Wie wäre es mit einem Stadtbummel?«
»Einverstanden«, gab ich zurück.
An diesem Tag kam eine neue Schülerin zu uns. Sie wolle ihre Kenntnisse auffrischen, meinte sie und setzte sich zu Erika. Sie stellte sich uns vor: »Nadine Neumann, 20 Jahre alt.« Sie war ein Stadtkind, kannte sich in Dresden gut aus und wohnte in Coswig. Auf mich machte sie einen soliden Eindruck, etwas burschikos, aber sonst sehr lieb.
Mir fehlte Isabell. Ich musste oft daran denken, wie es ihr wohl erging. Zu gerne hätte ich sie wiedergesehen. Sie war doch so schutzbedürftig.
Franzl war nicht sehr gesprächig. Auf unsere Frage, ob er mitmache, wenn wir Kaufhäuser stürmten, winkte er nur ab, das sei etwas für Mädchen, und was wir überhaupt da wollten. Es würde ja doch nichts geben.
»Vielleicht doch«, hoffte Nadine, die sich gleich begeistert anschloss. »Manchmal holen sie etwas unter dem Ladentisch hervor. Es fragt sich dann nur, ob man es auch will!« Scheinbar kannte Nadine sich gut aus. So verlief unser Nachmittag mit Lachen, Erzählen, Pläne schmieden. Nadine brachte frischen Wind in unsere Mädchengruppe. Allerdings hatte sie nicht immer Zeit für einen längeren Bummel. Sie sei sehr angehalten, ihrer Mutter zu helfen, die ebenfalls arbeiten musste, erzählte sie uns. Dann sei noch ihr Bruder da, der demnächst zehn Jahre alt wurde und ebenfalls von ihr versorgt werden musste. Ihre Mutter war auch zur Nachtschicht eingeteilt, da konnte sie ihren Bruder nicht alleine lassen. Man wusste ja nie, was passierte.
Franzl lud mich erneut ein, mit ihm nach Hause zu kommen.
»Meine Mutter würde sich freuen. Sie hat ja kaum Besuch und das fehlt ihr einfach«, so lautete seine Begründung. Trotz der fragwürdigen Erklärung nahm ich die Einladung gerne an. Was mich betraf, so war auch mein Kontakt begrenzt. Ich freute mich auf die Schule, um mit den Schulfreundinnen Gedanken und Erlebtes austauschen zu können. Mit Hedy und Max konnte ich doch nicht so über alles reden. Sie hatten ihren einzigen Sohn verloren, und mit Eltern von anderen Jugendlichen hatten sie keine Verbindungen. Es drehte sich oft im Kreis bei unseren Unterhaltungen. So war ich immer froh, wenn wir Mädchen diskutierten, Ideen offenlegten, die nach dem Krieg verwirklicht werden sollten. Manches übertrieben wir maßlos, um dann so richtig darüber lachen zu können. So konnte ich auch Frau Stern verstehen, wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher