Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Sackleinen und mit Bindfaden vernäht. Geschlachtetes, Schmalz und Mehl brachte er im großen Rucksack mit. Es gab damals Abteile für Reisende mit Traglasten. Sobald die Körbe mit der Bahn angekommen waren, fuhr Opa mit dem Leiterwagen zum Güterbahnhof und holte sie ab. Natürlich half ich Opa auch hierbei. Auf einmal wurden diese Aktionen gefährlich. Es kam vor, dass wir aufgehalten wurden auf dem Heimweg oder auch schon am Bahnhof beim Abholen. Die Körbe wurden kontrolliert, Großvater musste genau angeben, woher die Körbe stammten und wie er in deren Besitz gekommen war. Die Versandpapiere wurden genauestens überprüft, und schließlich durften wir mit unserer Ladung nach Hause fahren.
Es war an einem Sonntagvormittag, Tante Miriam und ich sollten Tante Wilhelmine, Cousine Lotti und Vetter Theo zum Mittagessen abholen. Unsere Wohnung lag in einem Quadrat von Straßen. Tante Wilhelmine schob Theo im Kinderwagen, Lotti hielt sich am Kinderwagen fest und ich lief nebenher, war ich doch schon sieben Jahre alt. Als wir an die Kreuzung Friedrichstraße kamen, zwei Häuser von der Wohnung entfernt, wurden wir von uniformierten SA-Männern aufgehalten.
Wir hörten schon von Weitem die Schlachtrufe der Kommunisten, die von der SA niedergeschlagen wurden. Blumentöpfe flogen durch die Gegend, es gab Verletzte. Zwei der SA-Männer riefen plötzlich:
»Aufhören! Hier sind Frauen mit Kindern!« Nachdem ihnen von den Tanten erklärt wurde, dass wir nicht anders unsere Wohnung erreichen konnten, nahmen sie Lotti und mich bei der Hand, meine Tanten mit Theo liefen hinterher, und so brachten sie uns unbeschadet ins Haus. Was war das nur? Wir Kinder begriffen überhaupt nichts mehr, dafür aber zitterten wir am ganzen Körper. Großmutter atmete zunächst auf, als wir da waren, aber wo war Großvater? Keiner wusste es. Die Sorge um ihn war groß. Plötzlich offenbarte Großmutter ihre Sorge meinen Tanten.
»Sie werden ihn doch hoffentlich nicht eingesperrt haben. Ich habe Angst um euren Vater, sie haben ja nun auch die SPD im Visier. Er wird doch nicht in einer Versammlung gewesen sein?« Nun, ich konnte mir auf all das keinen Reim machen. Was war die SPD, was waren das für Versammlungen, warum wurde man deshalb eingesperrt? Als Großvater spät nach Hause kam und Oma ihn unter Tränen in den Arm nahm, konnte ich mir vorstellen, dass es doch etwas ganz Schlimmes sein musste. Großmutter und Tante Martha sprachen dann später mit mir darüber, soweit es für mich verständlich war, und baten mich gleichzeitig eindringlich, es niemandem gegenüber zu erwähnen. Es könnte sonst für uns alle gefährlich werden. Lottis Vater war auch in der SPD, er war aktiv, inwieweit, weiß ich nicht. Opa war einfach von der SPD überzeugt.
Diese Unruhen hielten längere Zeit an. Es kam zu vereinzelten Schlägereien und Auseinandersetzungen auf der Straße. Meist waren es kleine Machtkämpfe, wenn der eine vom anderen wusste, dass er z. B. Kommunist war oder einer anderen Partei angehörte. So auch eines Abends, es mochte gegen 21:00 Uhr gewesen sein, als ich mit Oma in ihrem Nähzimmerchen saß. Sie machte sich wieder Sorgen um Großvater, und ich wollte einfach mit ihr warten, als es plötzlich an der Haustüre klingelte. Der Schreck im Moment war groß. Als Großmutter die Haustüre öffnete, stand ein Bekannter von Opa davor und bat eindringlich um Hilfe. Er blutete am Kopf. Oma zog ihn in das Nähzimmer, räumte blitzschnell im Wäscheschrank das unterste Fach nach oben und steckte den Verletzten hinein. Es war keine Sekunde zu früh, schon klingelte es abermals an der Tür. Als Großmutter öffnete, hörte ich zwei Männerstimmen besorgt nachfragen, ob bei uns denn alles in Ordnung sei. Sie hätten einen Verbrecher in diese Richtung flüchten sehen. Großmutter sagte gefasst: »Bitte, kommen Sie doch herein, ich bin mit meiner Enkelin alleine, aber es ist alles in Ordnung.« Ich saß ganz still auf meinem Stuhl und betete in Gedanken, es möge alles gut werden. Als die beiden Männer sich davon überzeugt hatten, gaben sie Großmutter noch den guten Rat, gleich nach ihnen die Haustüre zu verschließen, sodass niemand herein konnte. Sie wollten aber sicherheitshalber noch den Garten hinter dem Haus und das Gartenhaus kontrollieren. Oma bedankte sich höflich und verschloss lautstark hinter den Männern die Tür. Nachdem wir die beiden weggehen hörten, holte Großmutter den Verletzten aus dem Versteck, verband ihn und gab ihm
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