Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Mutter aus Wiesbaden zurückgekehrt, wo sie in aller Stille, ohne Familienangehörige, standesamtlich geheiratet hatte.
Für ihre Heirat brauchte Mutter nun keine väterliche Erlaubnis mehr, wenngleich die Großeltern schmerzhaft enttäuscht waren. Dagegen brauchten die SA-Bräute einen ›rein arischen Nachweis‹, und zwar 200 Jahre zurückliegend. Großvater ließ nachforschen in Kirchenbüchern, Standesämtern, sonstigen Behörden. Ich weiß nicht, was dazu alles benötigt wurde. Opa stöhnte oft darüber, ich hörte ihn einmal, als Großmutter die Betten bezog, im Schlafzimmer schimpfen und sagen:
»Hätten wir nicht so eine braune Suppe in der Familie, bliebe uns dies erspart.«
»Um Gottes willen, Joseph, leise, leise. Ich habe Angst um dich, wenn du deinen Mund nicht zügelst, dann holen sie dich eines Tages noch ab.« Man erzählte sich, dass Kinder, die von der Hitlerjugend überzeugt waren, sogar ihre eigenen Eltern angezeigt haben, in dem Glauben, das Richtige zu tun. Ich saß in der Küche und hörte das Gespräch der Großeltern mit an.
»Sag mir, Oma«, fragte ich sie etwas unsicher, weil ich das Gespräch sicher nicht hören sollte, »was ist eine braune Suppe?« Ich sah sie ängstlich an, weil sie, wie mir schien, sehr lang auf meine Frage schwieg. Ich war mir nicht ganz sicher, ob Großmutter mich nicht anlügen würde, wenn sie mir meine Frage beantwortete.
»Ach, weißt du«, fing Großmutter an, »es geht um die Heiratspapiere. Diese muss jeder, der heiratet, vorlegen auf dem Standesamt. Aber das ist auch viel Schreiberei und Opa meinte, diese hasst er so sehr wie die braune Suppe. Du magst sie doch auch nicht. Du weißt doch: braun geröstetes Mehl, dann mit Wasser löschen, sehr lange kochen lassen, bis sie schön sämig ist. Das Ganze wird abgeschmeckt, wenn möglich, mit gebratenen Speckwürfeln und etwas Butter. Diese Suppe wird bei den Landwirten sogar zum Frühstück gegessen, damit sich auf dem Feld bei der Arbeit nicht gleich wieder der Hunger breitmacht.« Ja, das war begreiflich, wusste ich doch, dass Großvater diese Suppe nicht mochte, ich mochte sie doch auch nicht!
Von nun an war ich hin- und hergerissen. Mutter konnte am Ende unseres Städtchens ein großes Zimmer mit Küchenbenutzung mieten. Viele Hauseigentümer waren darauf angewiesen zu vermieten, um finanziell entlastet zu werden. Außerdem musste oder sollte ich mich daran gewöhnen, einen Stiefvater zu haben und ihn zu akzeptieren, was mir sehr schwerfiel. Ich nannte ihn Kurt, so hieß er mit Vornamen. Ganz aus dem Weg gehen konnte ich ihm leider nicht. Großmutter versuchte immer, mir klarzumachen, dass Mariechen meine Mutter ist, aber ich trotzdem noch ihr Kind sei.
Mutter war hübsch, sehr zierlich, hatte dunkles Haar und ganz dunkle Augen. Beides hatte ich von ihr, ebenso die Sommersprossen auf der Nase. Sie kleidete sich sehr chic und es schien so, als wäre sie rundum zufrieden.
Kurt war in Freiburg in der Schweiz geboren. Er hatte einen Bruder, der später im 2. Weltkrieg fiel, und eine Schwester, die nach ihrer Heirat in der Schweiz lebte.
Seine Eltern betrieben in der Schweiz eine Großschlachterei. Als die Mutter starb, verkaufte sein Vater das Geschäft und ging, nachdem die Kinder in einem Heim untergebracht waren, nach New York. Von dort kaufte er weltweit Fleisch für Supermärkte ein. Zu seinen Quellen zählten Länder wie z. B. Russland, Frankreich und die Schweiz. Er kam 1918 aus Amerika zurück.
Kurt war ein gutaussehender Mann, im Gegensatz zu meiner Mutter war er groß, blond und hatte graue Augen. Mutter reichte ihm gerade bis zur Schulter. Sie waren eigentlich ein sehr schönes Paar. Aber er blieb für mich stets ein Fremder. Wer auch negativ zu unserem Verhältnis beitrug, war sein Vater. Wenn er gelegentlich zu seinem Sohn zu Besuch kam, ließ er keine Gelegenheit aus, mich zu kritisieren. Kurts Schwester, die in der Schweiz verheiratet war, stellte mich an Weihnachten bei den Verwandten ihres Mannes einmal so vor:
»Ja, und das ist die Tochter von meines Bruders Frau, sie lebt aber bei ihren Großeltern.« Nur dann, wenn sie Urlaub machten und jemand in ihrer Wohnung nach dem Rechten sehen musste, Blumen gießen etc., da war ich diejenige, die das ganz prima machte – nach Aussage der Schwester meines Stiefvaters. Es wurde nicht einmal gefragt, was ich für die Bahn- und Tramfahrerei bezahlen musste. Einen Kontakt vermied ich also, so gut es ging. Aber dies sollte ich erst Jahre
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