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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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aufgenommen worden. Die Schulbank teilte ich mit Gisela Weber. Sie kam aus Bergen auf der Insel Rügen. Sie war mit ihren Eltern in Rostock ausgebombt worden. Danach wurden ihre Eltern auf die Insel evakuiert. Beim Bombenangriff hatten sie alles verloren. Nur einen kleinen Koffer konnte jeder von ihnen retten.
    Als Gisela merkte, dass ich nach der Schule zur Straßenbahn ging, fragte sie mich am anderen Tag, wo ich wohne. Ob bei den Eltern und wie weit ich zu fahren hätte? Die Fahrt war nicht das Schlimmste, aber der weite Fußmarsch bis in das Dorf, erklärte ich ihr. Bald stand der Winter vor der Tür, dann würde es besonders hart. Keine warmen Schuhe, keine warmen Strümpfe. Es mangelte an allem. Wer vor dem Krieg genügend besessen hatte, kam vielleicht noch einigermaßen über die Runden. Mir fehlte es hauptsächlich an Schuhwerk. Schon als kleines Mädchen, so erzählte man mir, mussten jeden Monat ein Paar neue Schuhe her. Sie waren innerhalb kurzer Zeit völlig ramponiert und verbraucht. Für den Winter kannten wir Kinder damals nur Gummistiefel. Großmutter strickte mir warme Strümpfe, und Großvater verpackte meine kleinen Füße, die immer kalt waren, gut in Zeitungspapier. Dann kamen sie in die Gummistiefel, die immer größer gekauft wurden. So waren aber meine Füße doch einigermaßen warm und die Kälte war erträglicher.

    So kam es, dass ich auf Giselas Vorschlag einging, mit ihr zusammenzuwohnen. Sie war zwei Jahre älter als ich. Ein kleines Häuschen, das im Garten einer Villa stand, konnte Gisela anmieten. Für sie alleine nicht ganz das Richtige. Ein einzelnes Zimmer zu bekommen, war nicht so leicht, auch sehr teuer. Deshalb entschied sie sich dafür, dieses kleine Haus zu mieten. Die Besitzerin wohnte in ihrer separaten Villa im Parterre. Die erste Etage war beschlagnahmt worden und eine Apothekerin mit ihrer Mutter und ihrer Tochter wurden einquartiert. Sie kamen aus Litauen, sprachen polnisch und russisch. Die Hausbesitzerin selbst war unverheiratet, ihr rechtes Bein war steif von Geburt an, wie sie mir später erzählte. Ihre Eltern hatten in Ostpreußen ein großes Gut. Als ihr Bruder alles übernahm, bekam sie eine sehr großzügige Abfindung und konnte seither von ihrem privaten Vermögen leben.
    Das Gartenhaus war sehr sparsam möbliert. Es gab einen Flur mit einem Gaskocher auf einem Tischchen. Fließendes Wasser und Waschgelegenheit mit einer Spüle in der Ecke, das war unsere Küche. Zwei Töpfe standen auf der kleinen Tischplatte. Vom Flur kam man in ein kleines Wohnzimmer mit einem Holzofen, einem Esstisch, vier Stühlen, einem kleinen Geschirrschrank mit Tellern, Tassen und Besteck. Vom Fenster sah man in den Garten und direkt auf einen Apfelbaum. Im Sommer wäre darunter bestimmt ein schönes Plätzchen zum Lesen, Träumen oder einfach zum Abschalten. Eine steile Treppe führte nach oben in den Schlafraum. Zwei Eisenbetten standen dort. Das eine rechts, das andere links an der Wand. Dazwischen ein Schränkchen für den Wecker und eine Nachttischlampe. Ein kleines vergittertes Fenster ließ Licht und Sonne herein. Der Kleiderschrank reichte gerade für unsere Habseligkeiten aus. Zur Besichtigung nahm Gisela mich nach der Schule mit. Keine 15 Minuten dauerte der Weg bis dahin. Erst klingelten wir bei der Besitzerin, Frau Rudolph, und baten sie um den Schlüssel. Sie ging mit uns, verhandelte dabei den Mietpreis und erklärte uns ihre Bedingungen. Sie wünschte einfach nur, dass wir keinen Lärm machten und alles ein bisschen in Ordnung hielten. Ein kleines Paradies, so fand ich diesen Ort ganz im Stillen. Ein Zuhause, Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, für mich ein Traum! Wir versprachen Frau Rudolph, am anderen Tag nach der Schule vorbeizukommen, um alles fixzumachen. Gisela hatte ein Zimmer auf Abruf gemietet. Keine Kündigungsfrist, keine weiteren Verpflichtungen. Aber ich musste es Hedy und Max erklären. Vater, dessen war ich mir sicher, war damit einverstanden. Hauptsache war die Schule und dass er sich auf mich verlassen konnte. Das hatte ich ihm bereits vor meiner Abreise fest versprochen. Wie sollte ich es nur Hedy und Max beibringen? Sie sollten auf keinen Fall das Gefühl bekommen, ich sei nicht glücklich bei ihnen. Sie taten alles für mich.
    ›Mädel, du sollst dich zu Hause fühlen. Du bist wie eine Tochter für uns. Wenn wir etwas ändern sollen, sag es bitte. Es lässt sich bestimmt irgendwie machen‹, meinte Hedy oft. Aber es gab nichts zu ändern. Alles

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