Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
meine gesamten Unterlagen für die Schule ein, auch meine Briefe, die ich in einer kleinen Kassette aufbewahrte, und all meine Fotografien. Gisela war bereits in der Schule, saß auf der Kante der Schulbank und wartete voller Ungeduld auf mich. Kaum, dass sie Luft holte, fragte sie:
»Gehst du heute mit zu Frau Rudolph?«
Ein bisschen ließ ich sie noch zappeln, dann sagte ich: »Weißt du, Gisela, ich habe alles gut überlegt.«
»Sag schon, oder machst du nicht mit?«
»Willst du das denn immer noch?«, fragte ich scheinheilig.
»Was denkst du, hätte ich dich sonst gefragt? Sonst bleibe ich eben in dem Zimmer, das ich mieten kann, solange ich hier bin.«
»Warum gibst du so schnell auf, Gisela? Würdest du denn nicht gerne in dem Häuschen wohnen?«
»Aber natürlich, das wäre doch schön, wir beide zusammen? Vieles könnten wir gemeinsam machen, vor allem lernen. Wir können Dresden näher kennenlernen. Ach, was weiß ich noch alles«, stöhnte Gisela ganz aufgewühlt. »Du weißt ja, Frau Rudolph will heute eine Antwort.«
»Und diese bekommt sie auch«, sagte ich lächelnd.
»Wie denn, nehmen wir das Häuschen?«
»Na klar nehmen wir es. Hedy kommt uns abholen von der Schule. Dann gehen wir zu Frau Rudolph und machen Nägel mit Köpfen. Hedy meinte, es sei vielleicht besser, wenn wir der Vermieterin das Gefühl vermitteln, dass wir nicht ohne Unterstützung sind.«
»Das ist gut«, freute sich Gisela, »da lerne ich auch gleich deine zweite Mutter kennen und sie weiß, mit wem ihr Küken in Zukunft zusammenlebt!«
9
Frau Rudolph erwartete uns bereits. Anscheinend war sie nicht auf Begleitung eingestellt. Aber ihre Verwunderung wechselte zu Freundlichkeit, als Hedy sich vorstellte und Frau Rudolph die Zusammenhänge erklärte. Sie machte auch klar, dass sie im Auftrage meines Vaters für mich Entscheidungen treffen dürfe, wenn es mal Probleme geben sollte. So wären sie und Max befugt, alles in Vaters Sinn zu regeln. Dies betreffe auch das Finanzielle. Und was ihren Schützling betraf, so sähe sie keine Probleme. Ich sei ein selbstständiges Mädchen, das nun anfangen wolle, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.
Frau Rudolph sah mich an, blinzelte mir mit einem Auge zu und meinte ganz gelassen: »Ich werde mit den jungen Damen schon zurechtkommen.«
Das Wohnzimmer im Häuschen war geheizt, als wir eintraten. Es wirkte sehr gemütlich und heimelig. Hedy ging mit Frau Rudolph nach oben, um die Schlafkammer anzusehen. Frau Rudolph hatte Bettwäsche bereitgelegt, meinte aber, es wäre ihr lieber, wenn wir unsere eigene hätten. Sie habe schon ihren Mitbewohnern Bettwäsche überlassen müssen, und leider wären solche Textilien kaum mehr zu ergattern. Hedy bot mir die Aussteuer von Erich an, was ich jedoch ablehnte.
»Sicher hast du noch ältere Bettwäsche, die du mir geben kannst, wenigstens zum Wechseln.« Gisela bekam sie von Frau Rudolph. Woher sollte sie auch sonst welche haben. Hedy verhandelte noch den Mietpreis mit der Vermieterin.
»Kohlen fürs Heizen müssen Sie sich selbst besorgen«, wurde uns mitgeteilt.
Auf dem Einwohnermeldeamt bekamen wir anderntags bei der Anmeldung den Bezugsschein für Heizmaterial, ebenso die neuen Lebensmittelkarten, die an jedem Ersten eines Monats ausgehändigt wurden, nachdem in den Ausweis eine Seite Papier eingeklebt und mit einem runden Stempel versehen worden war. Das Datum in der Mitte des Stempels wurde mit Tinte eingetragen. Wenn das Blatt voll war, kam ein neues hinzu.
Alles war geklärt, das Häuschen warm, sehr gemütlich, wir waren glücklich. Hedy hatte, wie besprochen, alles Benötigte mitgebracht. Daraufhin schlug Gisela vor, dass wir anschließend ihre Habseligkeiten abholten und wir schon ab sofort unser eigenes Reich bewohnten. Eines muss ich Hedy lassen, sie hatte an alles gedacht. Sie hatte Brot in der Tasche, etwas Margarine, ein Stückchen Wurst und sogar eine Flasche Milch. Für alle Fälle, meinte sie. Frau Rudolph lud Hedy zu einer Tasse Kaffee ein. Wir Mädels holten Giselas Gepäck. Nachdem auch das geregelt war, besorgten wir uns gleich ein paar Lebensmittel. Der Laden war nicht allzu weit von unserem neuen Heim entfernt. Allerdings hatten die Geschäfte neuerdings nur stundenweise geöffnet. Der Bäcker meist nur am Vormittag, weil das Mehl zugeteilt wurde. Am Nachmittag war das Brot schon alle. Wer Schlange stand, hatte oft das Pech, dass, kurz bevor er an der Reihe war, die Ladentüre mit den Worten
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