Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
war gut. Ich mochte die beiden sehr. Nie könnte ich sie verletzen oder ihnen auf irgendeine Weise wehtun. Aber ich wurde eben erwachsen. In wenigen Wochen hatte ich meinen 18. Geburtstag. Oft träumte ich von einem eigenständigen Leben. Wenn auch nicht die Zeit dafür günstig war, so war da doch immer der Wunsch nach ein bisschen Eigenleben. Nicht immer erklären müssen, weshalb ich eine Stunde später nach Hause kam. Gerne würde ich auch einmal in ein Kino gehen, ohne den langen Marsch vom Bahnhof ins Dorf bewältigen zu müssen.
Genau dieses Häuschen war der ideale Standort. Kein weiter Weg zur Schule, zur Straßenbahnhaltestelle ein paar Minuten, um in ca. 15-20 Minuten in Dresden zu sein. Viele Möglichkeiten, mal ins Kino zu gehen oder vielleicht in ein Konzert. Regelrecht fieberte ich auf dem Heimweg. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, fanden keine Ruhe. Erst als ich vor dem Gartentor stand, rief ich mich zur Ordnung und sagte zu mir selbst:
»Mache keinen Fehler. Platze jetzt nicht vor Begeisterung mit der Tür ins Haus. Erzähle es so beiläufig beim Abendbrot. Stöhne erst ein bisschen, dass es doch von Radebeul sehr umständlich ist mit dem Fahren.« Denn ich musste entweder ab Hauptbahnhof mit dem Zug, der leichtere Weg, oder bis Weinböhla mit der Straßenbahn. Dies war aber eine noch längere Strecke zu Fuß. Ich drückte mir selbst ganz fest die Daumen für eine gute Erklärung.
Das Gespräch entwickelte sich ganz von selbst.
»Du siehst müde aus, ist es so anstrengend in der Schule?«, meinte Max.
»Nein«, erwiderte ich, »aber es kommt viel Neues auf mich zu. Das Hin- und Herfahren ist auch belastend. Erst die Straßenbahn, dann das Zugfahren, zuletzt der Fußmarsch. Dabei sind die Züge überfüllt, meist ist kein Sitzplatz frei.«
»Wie machen es denn die anderen Schüler?«
»Wie ich so mitbekommen habe, wohnen viele bei Angehörigen in Radebeul. Es sind auch ein paar verheiratete Frauen bei uns. Sie haben ihr eigenes Haus. Einige, etwa ein Drittel, haben ein möbliertes Zimmer gemietet«, erklärte ich den beiden. »Gisela von der Insel Rügen hat sich ein kleines Häuschen angesehen, mit zwei Zimmern und einer Kochgelegenheit. Sie meinte, dass es genauso teuer sei wie ein möbliertes Zimmer. Heute hat sie mich mitgenommen. Ich sollte es mir einmal ansehen. So beiläufig äußerte sie den Gedanken, ob ich nicht mit ihr zusammenwohnen wolle. Mir würde es da schon gefallen. Wir hätten es nicht weit zur Schule. Das wäre ja besonders wichtig.« Eifrig erklärte ich den beiden die Situation. »Es ist allerdings so«, sprudelte ich weiter, »dass wir morgen Bescheid sagen müssten. Sicher sind noch mehr Interessenten da. Die Vermieterin ist sehr nett. Frau Rudolph heißt sie. Über die Miete ließe sich verhandeln, versprach sie uns heute. Ihr sei einzig und allein wichtig, dass das Häuschen nicht leer steht und ruhige Mieter es bewohnen.«
Zunächst herrschte langes Schweigen. Ich merkte, wie Hedy und Max Blicke tauschten. Bis Max das Schweigen brach.
»Was würde dein Vater dazu sagen?«
»Ach, Max. Vater kann nicht alle Entscheidungen für mich treffen. Ich bin doch erwachsen und werde irgendwann meine eigenen Wege gehen und selbst entscheiden müssen. Schließlich musste ich all die Jahre ohne ihn zurechtkommen und muss auch später ohne seine Hilfe klarkommen. Es ist schön, sagen zu können, dass Vater sich um mich sorgt. Aber wie will er das meistern, bei diesen Entfernungen? Hier und jetzt, heute muss ich eine Entscheidung treffen. Diese ist für mich wichtig. Auch wichtig deshalb, weil ich auf eigenen Füßen stehen will. Eine Entscheidung habe ich bereits ohne Vater getroffen, als ich ihm mitteilte, dass ich hierbleibe und in Radebeul die Schule besuche. Nun möchte ich auch diese Entscheidung treffen und hoffe inständig, dass ihr mir nicht böse seid. Nämlich, dass ich in Radebeul mit Gisela zusammenwohnen möchte.«
Meine Entscheidung wurde von Hedy und Max akzeptiert. Hedy schlug vor, dass sie am anderen Tag um 13 Uhr vor der Schule auf mich wartete und mit uns beiden zu Frau Rudolph ginge. Es war vielleicht ganz gut, wenn die Besitzerin merkte, dass noch jemand hinter mir stand, notfalls hinter Gisela und mir. Ich bat Hedy, mir doch ein Nachthemd, den Toilettenbeutel und ein Handtuch mitzubringen. Für den Fall, dass Gisela schon im Häuschen übernachten wollte, würde ich gerne bei ihr bleiben, damit sie nicht alleine war. Ich packte mir für alle Fälle
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