Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
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›Kommen Sie morgen wieder, wir sind ausverkauft.‹
All dies hatte im Moment wenig Bedeutung für uns. Wir waren selbstständig, erwachsen, hatten ein kleines Reich für uns. Was wollten wir mehr? Bald wussten wir, wo wir einkaufen konnten. Ein kleines Kino war ebenfalls in der Nähe. An der Ecke Hauptstraße gab es ein Lokal, wo man Mittag essen konnte, natürlich nur etwas Einheitliches gegen Marken. Und sonntags war Tanz von 16 bis 22 Uhr. Den hier stationierten Soldaten sollte Abwechslung geboten werden und da für sie um 22 Uhr der Zapfenstreich war, richteten sich auch die Lokale danach.
Rasch fanden wir unseren Rhythmus. Wir teilten uns die Hausarbeit. Beim Einkaufen, sprich Schlange stehen, wechselten wir uns ab. Nach drei Wochen fand ich, dass es wieder einmal an der Zeit war, Friedel und Franzl zu besuchen. Gisela wollte in dieser Zeit einen Stadtbummel machen. Denn am Wochenende, Samstag oder Sonntag, wollte ich zu Hedy und Max fahren. Gisela war auch eingeladen. Seit unserem Einzug am Augustusweg hatte ich es ständig vor mir hergeschoben. Wir genossen erst einmal unser kleines Reich.
Gisela bekam von ihren Eltern ein großes Lebensmittelpaket. Ihre Mutter arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft in Bergen. Scheinbar konnte sie etwas für uns abzweigen. Ihre Eltern schrieben uns gemeinsam einen sehr netten Brief, worin sie erwähnten, dass sie sehr froh darüber waren, dass Gisela eine nette Freundin und Mitbewohnerin gefunden hatte. Sie bestellten Grüße an mich und meinten, dass sie mich sicher einmal kennenlernen würden.
Friedel und Franzl freuten sich sehr über mein Kommen. Auch Erika war anwesend. Aber die Stimmung war gedrückt, so jedenfalls schien es mir. Franzl fragte so beiläufig, ob ich denn regelmäßig Post von zu Hause bekäme. Da fiel mir plötzlich auf, dass ich vor etwa vier Wochen den letzten Brief erhalten hatte, seitdem nichts mehr. Dem Brief waren einige Lebensmittelmarken beigefügt gewesen. Es waren besondere Lebensmittelkarten, die nur für werdende Mütter ausgegeben wurden! Mutter schrieb, dass sich alle sehr um mich sorgten. Es sei doch eine zu große Entfernung, zumal wir nicht wussten, was die Zukunft brachte. Mir kam alles ein wenig kryptisch vor. Wussten meine Angehörigen mehr über all die Ereignisse? Wir hörten ja kaum etwas Neues. Wir hatten auch leider kein Radio. In der Schule hielten sich alle bedeckt. Die, die heimlich ausländische Nachrichten hörten, behielten es für sich, um nicht aufzufallen. Wer erwischt wurde, galt als Volksfeind und verschwand in einem Lager. Frau Rudolph, so bekamen wir aber bald mit, hörte mit den litauischen Flüchtlingen die Sender ab und war so auf dem Laufenden. Dadurch bekamen wir immer ganz vorsichtig ihre Vermutungen mitgeteilt. Wir machten uns aber weiterhin nicht allzu viele Gedanken.
Gisela kam an diesem Abend von ihrem Stadtbummel heiter und strahlend zurück. Ich war noch damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was bei Friedel und Franzl los gewesen war. Was mochte sie wohl so bedrückt haben? Ob ich es irgendwann erfahren würde? Fast hatte ich das Gefühl, dass es um Erika ging. Ab der Straßenbahnhaltestelle in Radebeul, auf dem Weg zu unserem Häuschen, hatte ich den Eindruck, dass mir jemand folgte. Ich ging schnell, es war inzwischen sehr dunkel, dadurch konnte ich nur an der Gestalt erkennen, dass es ein Mann war. Er behielt immer einen bestimmten Abstand. Was war ich froh, als ich den Weg durch den Garten ging und endlich im Häuschen war. Schnell schloss ich die Haustüre hinter mir ab, zog die Gardinen zu und holte tief Luft. Aber was redete ich mir da ein? Schon als kleines Mädchen war ich sehr ängstlich und bat immer darum, das Licht bis zum Einschlafen brennen zu lassen. Als Gisela stürmisch an die Türe klopfte und fragte:
»Warum schließt du denn ab?«, erwiderte ich ihr nur, dass ich dies so in Gedanken getan hätte.
»Wie war dein Nachmittag?«, fragte ich, um ja nicht in Versuchung zu kommen, ihr von meiner Angst zu erzählen.
»Sag du erst«, hielt sie mich hin, »bei mir ist es eine längere Geschichte.« Dabei leuchteten ihre Augen.
»Viel kann ich dir nicht erzählen, zwar haben die Sterns sich gefreut, dass ich kam, aber Franzl löcherte mich mit Fragen, was wir so alles durchnehmen in der Schule.« Obwohl wir uns angeregt unterhielten, spürte ich deutlich, dass irgendetwas nicht stimmte. Am meisten fiel mir auf, dass Erika sehr einsilbig war und sich bald
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