Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
einer großen Entdeckung gestorben, weil Jerome A. Webster dieses Haus nicht verlassen konnte. Die Agoraphobie hatte ihn an ein Grundstück von wenigen Quadratmetern gekettet.
Grant ging auf Strümpfen zu dem Tisch, auf den Jenkins seinen Rucksack gestellt hatte. Er löste die Gurte und holte eine dicke Mappe heraus. Er setzte sich wieder auf das Bett und entnahm ihr große Stöße Papier, blätterte darin.
Aufzeichnungen, Hunderte von Blättern. Die Geschichte vieler Menschenleben. Nicht nur das, was sie ihm erzählt oder auf seine Fragen geantwortet hatten, sondern auch Dutzende von anderen Dingen – Dinge, die er selbst durch Beobachtung, durch Dabeisitzen und Zuschauen, durch das Leben mit ihnen, eine Stunde oder einen Tag lang, erfahren hatte.
Denn die Leute, die er in dieser abgelegenen Gegend ausfindig machte, akzeptierten ihn. Es war sein Beruf, dass man ihn akzeptierte. Und sie taten das, weil er zu Fuß kam, verstaubt und müde, einen Rucksack auf den Schultern. Bei ihm fand sich nichts von der Modernität, die ihn isoliert, ihren Verdacht erregt hätte. Eine mühsame Art der Volkszählung, aber der einzige Weg, das zu erreichen, was das Weltkomitee wünschte – und brauchte.
Irgendwo, irgendwann, würde ein Mann wie er, Blätter wie diese studierend, finden, wonach er suchte, einen Hinweis auf eine Lebensform entdecken, die von der menschlichen Norm abwich. Etwas, was sie verriet, das sie aus all den anderen heraushob.
Mutationen bei den Menschen waren natürlich nicht ungewöhnlich. Viele von ihnen waren bekannt, waren Männer, die hohe Stellungen in der Weltöffentlichkeit bekleideten. Die meisten Mitglieder des Weltkomitees waren Mutanten, aber wie bei den anderen waren ihre mutierten Fähigkeiten und Talente aufgrund einer unbewussten Anpassung nicht auf Anhieb erkennbar, da sie ihre Gedanken und Handlungen denen anderer Menschen anglichen.
Es hatte immer Mutanten gegeben, ein Zeichen dafür, dass sich die Menschheit weiterentwickelt. Bis vor etwa hundert Jahren hatte man sie aber nicht als solche erkannt. Zuvor waren sie lediglich große Geschäftsleute, große Wissenschaftler oder große Verbrecher gewesen. Vielleicht auch Exzentriker, die Verachtung und Mitleid von einer Menschheit ernteten, die eine Abweichung von der Norm nicht duldete.
Diejenigen, die sich erfolgreich an ihre Umwelt angepasst hatten, zwangen ihre größeren Verstandeskräfte in das Gefüge akzeptierten Verhaltens. Dadurch wurde ihre Nützlichkeit eingeschränkt, ihre Fähigkeit begrenzt, ihre Kraft eingeengt – durch Schranken, die für weniger außerordentliche Menschen gedacht waren.
Selbst heute noch wurden die Fähigkeiten bekannter Mutanten unbewusst durch eine feststehende Norm gefesselt – durch die ausgetretenen Wege der Logik. Und das hatte schreckliche Auswirkungen.
Aber irgendwo auf der Welt gab es Dutzende, vielleicht Hunderte von Menschen, die etwas mehr als Menschen waren – Personen, deren Leben von der Eingeengheit der komplizierten menschlichen Existenz unberührt geblieben war. Ihre Fähigkeiten würden nicht eingeschränkt sein, ihr Verstand keine ausgetretenen Wege kennen.
Grant nahm ein dünnes Bündel Papier aus der Mappe und las den Titel der Schrift beinahe ehrfürchtig:
Unvollendete philosophische
Schriften und Bemerkungen
von Juwain
Es bedurfte eines frischen Verstandes, eines nicht von der Dumpfheit viertausendjährigen menschlichen Denkens behinderten Verstandes, die Fackel weiterzutragen, die der toten Hand des martianischen Philosophen entglitten war. Eine Fackel, die den Weg zu einem neuen Begriff des Lebens und seines Sinns erleuchtete, die einen einfacheren und geraderen Weg aufzeigte. Eine Philosophie, die den Menschen in nur zwei kurzen Generationen hunderttausend Jahre vorwärtsgebracht hätte.
Juwain war gestorben, und in diesem Haus hier hatte ein Mann ein Leben voller Selbstvorwürfe geführt, der der Stimme seines toten Freundes lauschte und sich vor dem Grimm einer betrogenen Menschheit verbarg.
Ein lautes Kratzen wurde an der Tür hörbar. Grant erstarrte, lauschte. Es wiederholte sich. Dann ein leises Winseln.
Hastig stopfte Grant die Papiere in die Mappe zurück und ging zur Tür. Als er sie öffnete, schlüpfte Nathaniel wie ein schwarzer Schatten herein.
»Oscar weiß nicht, dass ich hier bin«, sagte der Hund. »Er wäre entsetzt, wenn er es wüsste.«
»Wer ist Oscar?«
»Oscar ist der Roboter, der sich um uns kümmert.«
Grant lachte den Hund freundlich an.
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