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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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wieder auf, wie schlecht diese aussah, und sie fragte: „Warst du jetzt eigentlich mal beim Arzt?“
    „Sicher“, erwiderte Karen und stellte ihre Fracht auf dem Couchtisch ab.
    „Und?“
    „Es ist furchtbar, wenn Kollegen einen in die Mangel bekommen“, seufzte Karen. „Ich glaube, sie missbrauchen mich als Versuchskaninchen …“
    „Haben sie denn was gefunden?“
    Karen setzte sich. „Der Magen ist in Ordnung“, antwortete sie. „Und der Darm auch …“
    Livia bekam nicht mit, dass Karens Tonfall Ansätze eines „Abers“ enthielt. „Dann geht’s ja“, atmete sie auf. Geich darauf kehrte sie zu dem Thema zurück, das ihr wirklich unter den Nägeln brannte: „Arvin hat mir gesagt, was seinen Hass auf mich hervorgerufen hat“, sagte sie.
    „Das freut mich, Livia“, antwortete Karen ernst. „Wirklich. Erstens verstehst du jetzt, warum Arvin so fühlt, wie er fühlt, und zweitens ist es für ihn wichtig. Wenn er nicht endlich anfängt, seine Verletzungen zu bearbeiten, wird er sich vollends zugrunde richten.“
    Livias Augen waren bei diesen Worten zusehends größer geworden. „W-was … was willst du damit sagen?“, stammelte sie erschüttert. „Doch nicht, dass es stimmt?!“
    Karen runzelte die Stirn und sah Livia prüfend an. „Du musst es doch ahnen, Livia. Zumindest ahnen .“ Ihr Blick wurde weich und liebevoll. „Stell dich der Wahrheit, Livia. Tu es. Das ist auch deine einzige Chance.“
    „Aber … ich …“ Livia sprang auf und stieß dabei so fest gegen den Tisch, dass dieser wackelte. Beinahe wäre sogar die Wasserflasche umgefallen. „Nein!“, rief sie. „Es ist nicht wahr! Ich ahne nichts! Im Gegenteil! Ich weiß , dass es nicht wahr ist! Ich würde so etwas niemals tun!“
    Aber der mitleidige Blick, den diese Worte bei Karen hervorriefen, sprach eine deutliche Sprache.
    „Glaub doch, was du willst!“, fauchte Livia und schlängelte sich zwischen Tisch und Sofa durch. „Das tust du doch sowieso! Du warst nie auf meiner Seite. Nie!“ Mit diesen Worten stürmte sie auf den Flur zu.
    „Wer liebt, sagt die Wahrheit“, rief Karen hinter ihr her. Aber die Antwort, die sie bekam, bestand nur aus dem Geräusch, das die Wohnungstür verursachte, als sie lautstark hinter Livia ins Schloss fiel.
    ❧
    Als Enno nach mehrfachem Klingeln endlich die Haustür öffnete, wirkte er zuerst überrascht, dann schockiert und schließlich ärgerlich. Ohne ein Wort zu sagen, streckte er die Hand aus, griff nach Livias Arm und zog sie in die Wohnung. Erst als er die Tür wieder geschlossen hatte, begann er zu sprechen. „Bist du verrückt?“, fuhr er sie an. „Ich bin auf deinen Besuch nicht vorbereitet!“
    Livia antwortete nicht darauf. Sie war ohnehin schon völlig fertig, die Augen ganz rot vom vielen Weinen, die Haare zerzaust.
    „Und wie du aussiehst“, fuhr Enno mit seiner Schelte fort. „Du hast unter Garantie die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses auf dich gelenkt!“
    Ein neuer Schwall Tränen schoss aus Livias Augen und vernebelte ihr die Sicht. Trotzdem drehte sie sich um und streckte die Hand nach der Türklinke aus. Wenn sie nicht willkommen war, wollte sie nicht bleiben.
    „Jetzt warte“, sagte Enno etwas gemäßigter und eine Spur gönnerhaft. „Wenn du schon mal da bist …“ Er deutete auf eine Tür. „Dahinten ist das Wohnzimmer. Soll ich dir einen Kaffee kochen?“
    Livia ließ die Türklinke wieder los, rührte sich aber nicht vom Fleck. Sie kramte umständlich ein Taschentuch aus der Hosentasche, schnaubte lautstark hinein und wandte ihm erst dann den Kopf wieder zu. Ein völlig beleidigter Blick traf Enno.
    „Entschuldige“, seufzte dieser. „Ich hab’s nicht so gemeint.“
    „Wo ist das Wohnzimmer?“, fragte Livia nach. Ihre Stimme klang völlig belegt.
    Enno deutete noch einmal in die entsprechende Richtung, worauf Livia mit langsamen Bewegungen und herabhängenden Schultern darauf zutrottete. Derweil bog Enno in die Küche ab.
    Als Livia kurz darauf das Wohnzimmer betrat, hatte sie einen erstaunlich großen Raum vor sich, an den sich in der gesamten Breite ein Balkon anschloss. Durch die bodentiefen Fenster war der Raum extrem hell und freundlich. Livia fühlte sich gleich ein bisschen wohler. Rechts neben ihr befand sich eine moderne Couchgarnitur mit roten, auf Metallfüßen stehenden Sofas und Sesseln.
    Livia steuerte allerdings nicht darauf, sondern erst einmal auf den Balkon zu. Ihr war jetzt nach ein bisschen frischer Luft.

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