Als gaebe es kein Gestern
sein, oder?
Livia stieß einen Seufzer aus, der so tief war, dass Spike aufsah und dann zu ihr herübertrottete. Er rieb seinen Kopf ein paarmal an ihrem Bein entlang, entlockte ihr dadurch aber keine Reaktion. Daraufhin ging er dazu über, an ihrem Hosenbein herumzuknabbern. „Lass das!“, schimpfte Livia und entzog ihm das Bein. Sie war auf einmal wütend auf Spike. Warum verbrachte Arvin mehr Zeit mit ihm als mit ihr? Warum zog er den Hund ihrer Gesellschaft vor? Von der ungewohnten Reaktion überrascht, setzte sich Spike und sah Livia aus großen, verständnislosen Augen an. Das allerdings besänftigte Livia kein bisschen. „Du bist dumm“, sagte sie ärgerlich. „Du kannst nicht mal sprechen. Aber Menschen sprechen miteinander!“ Spike protestierte nicht, was Livia erst recht verärgerte. Missmutig erhob sie sich und ging auf die Küchentür zu. „Du wartest hier“, befahl sie, schlüpfte durch die Tür und machte sie ihm vor der Nase zu. Es wurde ohnehin Zeit, dass Spike lernte, auch mal ein paar Minuten allein zu verbringen.
Als Livia durch den Flur ging, hörte sie ihn protestierend winseln, drehte aber nicht um. „Ich brauche jetzt ein paar Minuten ganz für mich allein“, sagte sie zu sich selbst.
Unerklärlicherweise führte ihr Weg direkt ins Wohnzimmer und dort an den Schrank, in dem sie einmal Arvins alte Fotoalben gefunden hatte. Sie griff nach dem erstbesten und ließ sich damit auf den Sessel fallen.
Spike bellte von Zeit zu Zeit, doch klang dies noch sehr verhalten.
Interessanterweise bildete dieses Geräusch die perfekte Untermalung für Livias Fotosession, denn sie hatte ausgerechnet das Album herausgepickt, das Arvin und Spike I zeigte.
Während sie darin herumblätterte, sank ihre Stimmung
tiefer und immer noch tiefer. Derselbe Hund. Dasselbe Leuchten in Arvins Augen. Warum galt es niemals ihr? Er hatte sie doch geheiratet! Da musste doch einmal mehr gewesen sein!
Spikes Bellen wurde lauter und fordernder.
Livias Stimmungsbarometer fiel und fiel.
Was tat sie eigentlich noch hier im Haus? Sie hatte doch ohnehin einen Job suchen und verschwinden wollen! Arvin war nun einmal kalt und hart. Er liebte Hunde und er hasste Menschen, so war das eben!
„Ich hasse dich“, sagte sie zu dem Jungen mit dem strahlenden Lächeln und fuhr mit dem Finger zärtlich über sein Gesicht. „Und ich werde dich verlassen.“
Im nächsten Moment wurde die Wohnzimmertür geöffnet und Livia sprang mit einem einzigen Satz aus dem Sessel. Das Fotoalbum fiel im hohen Bogen auf den Fußboden und blieb dort mit dem Rücken nach oben liegen.
„Wieso …“, sagte Arvin und ließ seinen Blick zwischen dem Fotoalbum und Livia hin- und herschweifen. Neben ihm stand Spike. Er sah zu ihm auf und wedelte immer noch voller Begeisterung mit dem Schwanz. „Wie … wie kannst du es wagen?“, polterte Arvin los. Dann stürmte er auch schon auf das Fotoalbum zu und riss es hoch, wobei ein ganzer Haufen loser Fotos auf den Boden segelte.
Livia war immer noch komplett überrumpelt und stammelte: „Ich … ich hab mir nur Spike Nummer eins angesehen.“
Arvin eilte mit dem Fotoalbum auf den Tisch zu, legte es unendlich vorsichtig darauf ab und begann, die dünnen Pergamentseiten glatt zu streichen, die bei dem Sturz verknickt worden waren. Sein Verhalten passte in keiner Weise zu der Art, wie er redete. „Spike Nummer eins, wie du ihn nennst“, schnaubte er, „geht dich nichts an. Nichts, gar nichts, verstehst du?“
Livia antwortete nicht gleich, spürte aber, wie sich eine unbändige Wut in ihrem Inneren aufbaute.
„Und Spike Nummer zwei geht dich nichts an“, gab sie zurück. „Verstehst du?“
„Ach, um ihn zu pflegen, wenn du nicht zur Verfügung stehst, bin ich gut. Aber wenn es um die übrige Zeit geht, dann heißt es ‚Adios‘, ja?“
„Ich hab dich nicht gebeten, Spike zu übernehmen“, konterte Livia. „Das war einzig und allein Karens Idee. Glaub mir, ich hätte lieber einen Fremden engagiert, als dich damit zu betrauen!“
„So wie ich lieber eine Fremde geheiratet hätte!“
Als der Satz heraus war, schnappte Livia verzweifelt nach Luft. Sie hätte so gern darauf geantwortet, konnte aber nicht. Es saß einfach zu tief. Sekundenlang herrschte eine Stille, die so schwer und dicht war, dass man sie hätte anfassen können. Dann hauchte Livia mit letzter Kraft: „Ich packe. Gib mir zehn Minuten, dann siehst du mich niemals wieder.“ Sie wandte sich an Spike. „Komm her,
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