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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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extrem stille Art von Schlaf.
    Karen lag auf dem Rücken, weshalb Livia sie sehr gut sehen konnte. Und es gab eigentlich auch nichts, was darauf hindeutete, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. Ihre Gesichtszüge waren friedlich, Livia meinte sogar, den Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen wahrnehmen zu können. Das einzige Problem war … dass sie keine Atemzüge sehen konnte. Sosehr sie auch danach suchte … Karen wirkte völlig bewegungslos … da war kein Heben und Senken ihres Brustkorbes …
    „Mami?“, rief Vanessa vom Flur aus.
    Livia machte einen Satz nach hinten, drückte dabei die Tür zurück ins Schloss und wirbelte herum. „Mami hat sich einen Moment hingelegt“, flüsterte sie Vanessa zu. „Ich glaube, wir sollten sie noch ein bisschen schlafen lassen.“
    „Geht es ihr nicht gut?“, fragte Vanessa, die sich inzwischen bis auf wenige Meter genähert hatte.
    „Doch, doch“, beeilte sich Livia zu versichern. „Es ist nur … dass sie ziemlich viel Ruhe braucht. Ich denke … wir essen erst einmal allein zu Mittag …“
    „Was gibt’s denn?“, wollte Vanessa wissen.
    „R-reste“, würgte Livia hervor. „Suppe von gestern.“
    „Die ess ich aber nur, wenn’s Klütschen dazu gibt.“
    „Klar gibt’s die“, versicherte Livia. „Klütschen“ waren Mehlklöße mit Rosinen, die Livia irgendwann einmal hergestellt hatte, ohne zu wissen, woher sie diese kannte. Aber sie hatten eine solche Begeisterung bei Vanessa hervorgerufen, dass diese jetzt sogar Gemüsesuppe aß.
    Livia begab sich also in die Küche, stellte den Topf mit der Suppe auf den Herd, rührte den Teig aus Mehl, Milch und Rosinen an und hielt diesen esslöffelweise in die mittlerweile heiße Suppe. Dass ihr all dies gelang, grenzte an ein Wunder. Denn mit den Gedanken war sie nur bei Karen. Einerseits rechnete sie damit, dass Karen jeden Moment im Türrahmen erschien und erst einmal herzhaft gähnte, andererseits gingen die wildesten Ängste mit ihr durch. Was, wenn sie nicht mehr lebte? Wenn sie gestorben war, ohne dass sich dies vorher angekündigt hatte?
    Als Vanessa endlich vor Suppe und Klütschen saß, sagte Livia: „Bleib schön sitzen und iss deine Suppe. Ich geh mal kurz aufs Klo.“
    Mit einem Herzen, das ihr beinahe aus dem Brustkorb sprang, eilte Livia ein zweites Mal durch den Flur und auf Karens Schlafzimmer zu. In dem Bewusstsein, dass sie nicht viel Zeit hatte und Vanessa jeden Moment nach ihr rufen könnte, öffnete sie die Tür und betrat das Zimmer.
    Karen hatte sich nicht gedreht. Sie lag immer noch auf dem Rücken.
    Genau so, wie sie sie verlassen hatte.
    Livia hörte auf zu atmen und trat näher. Die Augen vor Angst geweitet, den Blick fest auf Karen gerichtet, hoffte sie fast verzweifelt auf eine einzige kleine Bewegung, ein einziges Zucken der Lider, einen einzigen kleinen Atemzug …
    Aber da war nichts zu sehen …
    „Karen“, flüsterte Livia. Und dann ein bisschen lauter: „Bitte … Karen!“
    Keine Antwort.
    Livia zitterte inzwischen am ganzen Körper. Als sie jetzt ihre Hände ausstreckte, hatte sie Mühe, diese zu kontrollieren. Es gelang ihr jedoch, die Bettdecke ein wenig anzuheben und nach Karens Hand zu tasten. Da war sie … und sie war ganz warm! „Karen“, sagte Livia und drückte deren Hand.
    Immer noch keine Reaktion.
    Livia schluckte schwer, streichelte heftig die Hand ihrer Freundin und begann auf einmal zu beten. „Bitte mach, dass sie lebt!“, flüsterte sie verzweifelt. „Bitte!“
    Von der Hand aus tastete sie sich hoch zum Handgelenk, suchte nach einem Pulsschlag, fand keinen, zog die Hand wieder unter der Decke hervor, legte sie an Karens Hals …
    Aber die Suche war überflüssig. Die Temperatur an Karens Hals sprach eine eigene eiskalte Sprache …
    „Karen!“, schluchzte Livia auf, unterdrückte die Geräusche aber noch im gleichen Moment, indem sie ihre Hand vor den Mund riss. „Oh, Gott!“ Sie wankte, ging in die Knie, spürte den unbändigen Drang, alles herauszulassen, und wusste doch, dass sie jetzt auf keinen Fall zusammenbrechen durfte. „Arvin“, flüsterte sie durch einen Schleier von Tränen hindurch.
    „Livia?“, hörte sie Vanessa von ganz weit her rufen.
    Livia unterdrückte einen weiteren Schluchzer, zog sich am Bett in die Höhe und wischte zeitgleich mit dem Ärmel über ihre tränennassen Wangen. Sie zwang sich, keinen weiteren Blick auf ihre tote Freundin zu richten, sondern drehte sich nur weg, probte ein Lächeln und floh

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