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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Arvin an. Aber obwohl sie sogar ihren Kopf zu Hilfe nahm, indem sie diesen wieder und wieder wie eine Waffe nach hinten warf, hatte sie keine Chance. Arvin wich ihren Stößen geschickt aus und schien entschlossen zu sein, den Helfern den Rücken freizuhalten. Während Karen ein drittes und ein viertes Mal defibrilliert wurde, weinte Livia hemmungslos, doch wurden ihre Bewegungen allmählicher langsamer und schwächer.
    Als sich der Mann schließlich zu Arvin umdrehte und mitleidig den Kopf schüttelte, hing sie schon beinahe schlaff in seinen Armen.
    „Es tut mir leid“, sagte der Mann niedergeschlagen. „Wir können nichts mehr für sie tun.“
    Arvins Griff wurde lockerer. Er beugte sich vor und ließ Livia auf den Fußboden hinabgleiten, wo sie schließlich hocken blieb.
    „Und … und jetzt?“, stammelte Arvin.
    „Wir sind verpflichtet, die Polizei zu benachrichtigen“, antwortete der Mann. „Ob eine Obduktion erforderlich wird, müssen die entscheiden. Bitte rühren Sie zunächst nichts
an.“
    Bei diesen Worten stöhnte Livia halb gequält, halb amüsiert auf. Nichts anrühren? Nichts anrühren?
    Der Mann beugte sich jetzt zu Livia herunter, berührte sie sanft an der Schulter und fragte: „Wie geht es Ihnen? Denken Sie, dass Sie medizinische Hilfe benötigen?“
    „Gehen Sie … weg“, würgte Livia hervor.
    Der Mann erhob sich wieder. „Sie sollten Ihre Frau jetzt keinesfalls allein lassen“, seufzte er. „Scheuen Sie sich nicht, uns noch einmal zu rufen, wenn es Probleme gibt. In Ordnung?“
    Arvin murmelte etwas, das wie eine Zustimmung klang, und verließ dann mit den beiden Männern den Raum.
    Als Livia gleich darauf feststellte, dass sie mit Karen allein war, erwachte sie wie Dornröschen von jetzt auf gleich aus ihrer Apathie, sprang auf und eilte auf Zehenspitzen zur Tür hinüber. Dort fand sie auf der Außenseite den Zimmerschlüssel, steckte ihn mit zitternden Fingern von innen ins Schloss, zog leise die Tür heran und drehte mit einer einzigen fließenden Bewegung den Schlüssel herum.
    Als ihr das gelungen war, atmete sie erleichtert auf. Es kam ihr so vor, als hätte sie Karen einen letzten, lebenswichtigen Dienst erwiesen und alle Eindringlinge für immer vertrieben.
    Obwohl sie mitbekommen hatte, dass nichts verändert werden sollte, dachte sie nicht daran, sich an diese Vorgabe zu halten. Stattdessen eilte sie an Karens Bett und machte sich umgehend daran, ihr die Bluse wieder anzuziehen. Vorsichtig, wenn nicht gar zärtlich, zog sie die Bluse in die richtige Position, verschloss einen Knopf nach dem anderen, faltete den Kragen, richtete ihre Haare wieder her, legte ihre Arme direkt neben ihren Körper und deckte sie zu, als bestünde die Gefahr, dass sie friere.
    Aber auch als das alles vollbracht war, ließ sich der Eingriff der beiden Männer nicht verleugnen. Sosehr sich Livia auch bemüht hatte, so unvollkommen war das Ergebnis. Die Äußerlichkeiten vermochten einfach nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es keine Möglichkeit gab, ihren Gesichtsausdruck zurückzuholen. Dieser ungewöhnliche, besondere Friede, das sanfte Lächeln … es war unwiederbringlich verloren …
    So wie Karen unwiederbringlich verloren war …
    Die Erkenntnis traf Livia mit einer Wucht, die all ihre Selbstbeherrschung in Stücke zerriss. Karen war tot! Sie würde nie wieder da sein! Nie wieder lächeln! Nie wieder mit ihrer Tochter Spiele spielen!
    Bilder gemeinsamer Tage, Bilder des gestrigen Abends tauchten vor Livias geistigem Auge auf und raubten ihr die Luft zum Atmen. Karen war tot. Sie war tot …
    ❧
    Die nächsten Tage erlebte Livia wie durch dicken Nebel hindurch. Sie war apathisch, fühlte sich, als hätte jemand alles Leben aus ihr herausgesogen. Es gab keine Bewegung, keine Handlung mehr, die von allein aus ihr heraussprudelte. Sie musste sich alles abringen … jedes Wort, das sie sprach, jeden Schritt, den sie tat. Und wenn Vanessa nicht gewesen wäre … wenn ihr Versprechen an Karen nicht gewesen wäre, ja, dann hätte sie wohl komplett aufgegeben.
    So aber versorgte sie ihre Nichte, so gut es eben ging, weinte mit ihr, sprach mit ihr über Karen, besuchte die Spielplätze, die Karen mit ihr besucht hatte, und hielt irgendwie das Leben aufrecht.
    Arvin beteiligte sich an alledem nicht.
    Überhaupt schien das letzte bisschen Kontakt zu ihm mit Karens Tod verloren gegangen zu sein. Er redete nur das Nötigste, vermied es, mit Vanessa und Livia zusammen zu sein, und schob die

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