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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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nichts mehr gesehen. So aber fand sie problemlos den Weg zur Straße.
    Es war ungewöhnlich, um diese Zeit spazieren zu gehen. Sonst fuhren immer Autos die Straße entlang, aber jetzt war alles still. Nur das Rauschen der Blätter war zu hören … mal leise und sanft und dann wieder laut und wild. Warum war ihr niemals aufgefallen, welch voller Klang in Bäumen und Blättern steckte? Welches Konzert dort gespielt wurde?
    Sie bewegte sich weiter vorwärts, stellte sich dabei aber nie die Frage, in welche Richtung sie gehen sollte. Die Frage war nicht notwendig. Die Richtung stand fest. Es zog sie geradezu magisch zu Karen.
    Der Friedhof lag nicht gerade um die Ecke, war aber durchaus zu Fuß zu erreichen.
    Wenn nur die Kälte nicht gewesen wäre! Hatte Livia die kühle Luft anfangs noch als angenehm empfunden, so begann sie mit der Zeit immer mehr zu frieren. Ihre Jacke war für den scharfen Wind und die nächtlichen Temperaturen einfach nicht ausgelegt. Sie verschränkte ihre Arme fest vor der Brust und erhöhte ihr Tempo. Ihr Weg führte an vielen Gärten und schließlich an einem Spielplatz entlang, den sie oft mit Karen und Vanessa besucht hatte. Sie blieb stehen und fröstelte so stark, als besäße sie überhaupt keinen Schutz vor Kälte und Dunkelheit. Es war dieser Kontrast. Dieser Kontrast zu dem warmen, hellen Sommertag, den sie erst vor ein paar Wochen hier verbracht hatten. Vanessas Lachen schallte ihr in den Ohren, als wäre es eben erst verklungen. Damals hatte Karen noch an allem teilgenommen …
    Der Gedanke war zu schmerzhaft, als dass sie ihn noch länger hätte ertragen können. Eilig, fast als wäre jemand oder etwas hinter ihr her, setzte sie sich wieder in Bewegung. Bald darauf überquerte sie eine Straße, die tagsüber so stark befahren war, dass sie ein echtes Hindernis darstellte. Jetzt aber lag sie still und ruhig vor ihr wie ein schlafendes Ungeheuer, das erst am Tage wieder erwachen würde. Livia lief eine Zeit lang mitten auf der Straße, breitete ihre Arme aus und tat so, als hätte sie das Ungeheuer bezwungen. Aber dem war nicht so. Das wahre Ungeheuer lauerte am Ende ihres Weges. Sein Name war „Tod“. Und es gab niemanden, der es bezwingen konnte.
    Doch, den gibt es. Livia musste schlucken. Es war ihr fast so vorgekommen, als hätte sie leise Karens Stimme gehört. Und sie wusste ja auch, dass ihr Karen an dieser Stelle widersprochen hätte. Sie hatte es immer getan. Noch an ihrem letzten gemeinsamen Abend hatten sie sich über exakt dieses Thema unterhalten.
    Ich werde wohl diese Erde verlassen. Aber ich werde nicht wirklich sterben , hatte sie gesagt. Denn Jesus Christus hat den Tod besiegt. Und wer an ihn glaubt, wird niemals sterben.
    Wenn dem nur so wäre!
    Aber warum hatte dieser „Sieger“ nicht auch Karens Krankheit besiegt? Warum hatte er die Gebete nicht gehört? Warum hatte er einer Tochter die Mutter weggenommen?
    Livia schüttelte den Kopf, als würde sie damit auch diese Gedanken abschütteln können. Sie wollte nicht an einen Gott glauben, der niemals da war, wenn man ihn brauchte. Der niemals antwortete, wenn man mit ihm sprach.
    „Oder bist du da?“, hörte sie sich fragen.
    Spike blickte überrascht zu ihr auf.
    Aber eine Antwort bekam sie nicht.
    „Wusste ich’s doch“, murmelte Livia und setzte ihren Weg mit finsterer Miene fort.
    Sie gelangte jetzt in ein Gebiet, das nur noch vereinzelt bebaut war. Die kleine Nebenstraße, auf der sie sich befand, führte an einem größeren Waldstück entlang und machte Livia ein wenig Angst. Das Rauschen der Bäume war nicht weniger geworden und hätte auch gut von einem Verfolger stammen können … Sie nahm die Leine ein wenig kürzer und empfand Spikes Gegenwart als echten Trost. Im Notfall würde er sie bestimmt beschützen.
    In der Ferne war jetzt bereits der Eingang des Friedhofs sichtbar. Livia steuerte darauf zu. Aber als sie die kleine Pforte erreicht hatte, zögerte sie doch. Ob es gut war, bei Nacht einen Friedhof zu besuchen?
    Sie schluckte, konnte sich aber einfach nicht dazu durchringen, den Rückweg anzutreten. Sie wollte hier sein. Bei Karen. Und nicht zu Hause. Nicht bei Arvin.
    Die kleine Pforte quietschte, als Livia sie öffnete, und machte die Umgebung noch unheimlicher, als sie es ohnehin schon war. Immerhin schien es am Himmel kaum noch Wolken zu geben. Jedenfalls leuchtete der Mond hell und klar, ohne zwischendurch verdunkelt zu werden.
    Sie ließ die Pforte offen stehen und ging mit vorsichtigen

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