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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Schritten den Hauptweg entlang.
    Es war ein großer Friedhof, auf dem man sich durchaus hätte verlaufen können. Vom Hauptweg gingen viele kleinere Seitenwege und von dort weitere Abzweigungen ab. Trotzdem fiel es Livia nicht schwer, den richtigen Weg zu beschreiten. Als sie ihn heute Mittag gegangen war, hatte er sich wie eine Wunde in ihr Gedächtnis gebrannt und ein für alle Mal festgeschrieben.
    Sie hielt sich zuerst links, bog hinter einem riesigen Familiengrab rechts ab und … erstarrte. Sekunden … nein … minutenlang stand sie einfach nur so da und versuchte zu begreifen, was sie dort sah.
    Da war Karens Grab. Hoch aufgetürmt und von Blumen und Kränzen übersät. Ein großer dunkler Grabstein mit den Namen von Karens Eltern. Und davor …
    Er saß direkt am Grabstein, lehnte mit der rechten Schulter am kalten Mamor und hatte die Beine angewinkelt. Mit den Armen hielt er sie fest umschlungen. Den Kopf hatte er auf den Knien abgelegt.
    Arvin. Hier.
    Spike schien ihn zu erkennen, denn er zog kurz an der Leine, als wollte er zu ihm. Aber Livia ließ es nicht zu. Sie stand da, als wäre sie zu einer der steinernen Tafeln geworden, die auf die Toten hinwiesen.
    Sie sah ein Bild, das wie ein Messer in ihr Herz schnitt und einen Strom von Liebe und Mitleid freisetzte. Eins wusste sie in diesem Moment: Nicht der Arvin, den sie am Tage gesehen hatte, war der wahre Arvin. Sondern dieser hier. Der Arvin der Nacht. Was sie hier sah, jetzt und hier, das war sein Herz. Hier befand es sich, hier, auf dem Friedhof. Hier in der Dunkelheit. Hier bei Karen und seinen Eltern.
    Und da war noch etwas. Eine Begegnung. Er war hier. Und sie war hier. Und das war kein Zufall. Es war ein Beweis dafür, dass ihre Herzen zueinandergehörten!
    „Arvin“, sagte Livia und ihre Stimme klang heiser.
    Aber Arvin reagierte nicht.
    „Arvin?“, probierte es Livia noch einmal lauter.
    Wieder keine Reaktion. Aber es war auch nicht gerade leise um sie herum. Der Wind pfiff um die Grabsteine und wirbelte gerade jetzt die Bänder durcheinander, die an Karens Kränzen hingen.
    Sie ging ein paar zaghafte Schritte auf Arvin zu, hielt Spike aber an der kurzen Leine. Dann blieb sie stehen und versuchte zu erkennen, ob Arvins Augen offen oder geschlossen waren. Aber die Lichtverhältnisse waren nicht die besten und so gelang ihr das nicht.
    „Arvin“, sprach sie ihn erneut an, dieses Mal energischer.
    Und dann hob er seinen Kopf. „Was …“ Er klang benommen und schien zunächst gar nicht zu begreifen, wer da vor ihm stand. „Was macht ihr hier?“ Nur eine Frage. Voller Verwunderung, aber ohne Vorwurf.
    „Ich konnte nicht schlafen“, erwiderte Livia und lächelte scheu.
    Als hätte ihm diese Antwort missfallen, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Das Erstaunen verschwand, gab einer gewissen Verärgerung Raum und verwandelte sich dann in deutlich erkennbare Abwehr. „Geht wieder nach Hause!“, fauchte er sie an.
    Livia trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Derweil wedelte Spike wie verrückt mit dem Schwanz und versuchte, Arvin auf sich aufmerksam zu machen. „Es tut mir leid“, presste Livia hervor. „Ich wusste nicht, dass du hier bist. Ich wollte …“ Sie deutete auf Karens Grab und hoffte, dass er sie verstehen würde. Dass er begriff … Dieser Ort gehörte ihnen beiden. Auch ihr Herz war hier. Nicht so wie seines. Nicht derart gefangen. Aber dennoch …
    „Lass mich in Ruhe“, formulierte er die Worte, die sie längst in seinem Gesicht gelesen hatte. Er empfand sie als Eindringling.
    „Ich will nicht“, hörte sich Livia verzweifelt sagen. Und dann hob sie hilflos die Hände. „Ich will nicht länger ausgeschlossen werden, Arvin. Wir … wir können das hier gemeinsam bewältigen.“
    Arvin schüttelte den Kopf und nahm dadurch schon vorweg, was er sagen würde. „Gemeinsam …“, sagte er verächtlich. „Als ob wir irgendetwas gemeinsam hätten …“ Er rappelte sich hoch. „Sie war meine Schwester, Livia, meine und nicht deine. Niemand wird je verstehen, was uns verband. Auch du nicht.“
    „Euch verband die Trauer um eure Eltern. Dass ihr niemanden sonst hattet, aufeinander angewiesen wart. Eure halbe Kindheit lag im Leben des anderen. Ich verstehe das, Arvin.“
    „Unsinn!“, widersprach Arvin. „Du verstehst gar nichts! Und zwar schon deshalb nicht, weil sie dir nichts bedeutet hat!“
    „Das … das stimmt doch nicht“, stammelte Livia betroffen. „Wäre ich sonst hier? Ich war genauso auf sie

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