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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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wollen, erhellte sich sein Blick. Offensichtlich hatte Livia ihren Schlüssel vergessen. Er ging zur Tür und öffnete.
    „Oh“, machte Gunda und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Ich dachte, Sie wären schon weg. Wegen des Wagens …“ Sie deutete verwundert auf die leere Einfahrt.
    Arvin blickte verständnislos von Gunda zu dem Ort, an dem normalerweise sein Auto stand. Jetzt war es verschwunden. Aber warum? Hatte er es gestern woanders geparkt? Oder stand es noch vor der Firma?
    „Stimmt was nicht?“, fragte Gunda besorgt. Wegen der kurzen Entfernung hatte sie auf eine Jacke verzichtet. Sie trug nur eine Stoffhose und einen dünnen grauen Rollkragenpullover. Aber es war kalt heute Morgen und sie begann zu frieren. Um dem entgegenzuwirken, verschränkte sie ihre Arme vor der Brust.
    In Arvins Kopf rotierte es. Er hatte den Wagen zuletzt benutzt, als er gestern gegen Abend in Begleitung von Livia die Kaffeetafel anlässlich der Beerdigung verlassen hatte. Und da hatte er ihn unter Garantie hier auf dem Hof abgestellt! „Ich …“ Er machte urplötzlich auf dem Absatz kehrt, eilte zu der Anrichte, die auf dem Flur stand, und zog die oberste Schublade auf. Aber auch hier … gähnende Leere. Vor allem kein Autoschlüssel!
    „Wo ist Livia?“, fragte Gunda und schlüpfte hinter Arvin in den Flur. „Geht es ihr nicht gut?“
    „Ich … ich nehme an, sie schläft noch“, stammelte Arvin. Normalerweise konnte er Gunda nicht leiden. Aber heute war er viel zu durcheinander, um unfreundlich zu werden.
    „Um diese Zeit?“, fragte Gunda argwöhnisch.
    „Könnte auch sein, dass sie mit dem Hund los ist …“
    „Darf ich mal nachsehen?“
    Arvin zuckte die Achseln, unternahm aber auch nichts, als Gunda ihre etwas ausgetretenen Latschen von den Füßen streifte und kurzerhand auf Livias Zimmer zumarschierte. Als sie es erreicht hatte, begann sie leise zu klopfen. „Livia?“, rief sie mit unterdrückter Stimme.
    Die Antwort kam nicht von Livia, sondern von Spike. Erst winselte er nur, dann begann er vorsichtig zu bellen.
    „Livia!“, rief Gunda lauter.
    „Wenn Spike da ist, ist Livia auch da“, behauptete Arvin, der Gunda gefolgt war.
    Gunda antwortete nicht darauf, sondern drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Es dauerte nur Sekunden, dann stürmte ein schwarzes Etwas an ihr vorbei und auf Arvin zu. Laut bellend sprang Spike an seinem Herrchen hoch und schleckte ihm durchs Gesicht. „Ist ja gut“, lachte Arvin und streichelte seinen Kopf. „Ist ja gut.“
    Auf diese Weise dauerte es einen Moment, bis Arvin begriff, dass eine Begrüßung zwischen Gunda und Livia ausblieb. Und es dauerte noch länger, bis er registrierte, dass Gunda stumm und bewegungslos vor Livias Bett stand und einen Zettel in der Hand hielt.
    „Was … was ist das?“, stammelte er und betrat hinter ihr den Raum.
    „Sie will sich umbringen“, flüsterte Gunda in genau diesem Moment. „Oh Gott, sie will sich umbringen!“
    Arvin war mit zwei langen Schritten bei ihr und entriss ihr den Zettel. In einer Handschrift, die immer noch ein wenig eckig und unbeholfen wirkte, stand da:
    Lieber Arvin,
    auch wenn Du mich gestern Nacht über alle Maßen verletzt hast, will ich, dass du eins weißt: Deine Zuneigung war immer das, was ich mir von allen Dingen auf der Welt am meisten gewünscht habe. Ich weiß nicht, warum das so ist. Am Anfang mochte ich Dich nicht einmal. Aber dann begann ich zu spüren, dass da eine Tiefe, eine Intensität in Dir ist, die mich geradezu magisch angezogen hat. Vielleicht ist es diese Verlorenheit, die wir beide teilen. Enno besitzt so etwas nicht. Eigentlich besitzt er überhaupt nichts, was mich anzieht. Deshalb habe ich ihn stets auf Abstand gehalten. Auch wenn du einen anderen Eindruck hast: Ich habe ihn niemals freiwillig geküsst. Und ich
bin auch jetzt nicht in der Lage – fast bedaure ich es –, die Zuneigung, die nur er mir anbietet, anzunehmen. Stattdessen ist mir Folgendes klar geworden: Wenn Du mich nicht lieben willst, soll mich niemand lieben. Wenn Du mich zurückweist, bin ich zurückgewiesen.
    Ich weiß, dass das nicht so sein sollte. Ich weiß, dass ich meinen Wert aus anderen Quellen schöpfen sollte. Aber aus welchen? Für Karen hatte ich einen Wert. Aber sie ist tot. Heute Nacht habe ich in meiner Verzweiflung sogar Gott gefragt, ob ich für ihn einen Wert besitze, aber er hat mir nicht geantwortet!
Niemand antwortet mir mehr! Und darum weiß ich: Die Welt wird

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