Als gaebe es kein Gestern
nicht.
Die Einsamkeit hing wie eine schwere Decke über ihrem Kopf und drohte sie zu erdrücken.
Sollte das hier ihre Zukunft sein??? Ein Leben ohne Karen? Mit einem Mann, der kein Wort mit ihr wechselte?
„Gott“, hörte sie sich plötzlich fragen, „findest du, dass ein Mann, der an dich glaubt, sich so verhalten sollte?“
Aber sie glaubte ja nicht an Gott, und so war es nicht verwunderlich, dass sie keine Antwort erhielt.
Kein Wunder , dachte sie wütend. Hier redet ja sowieso niemand mit mir.
Eine Weile versuchte sie, mit Spike zu spielen, aber das funktionierte heute nicht richtig. Ob der Hund spürte, dass sie nicht wirklich bei der Sache war? Sie tigerte noch eine Weile planlos in ihrem Zimmer auf und ab, dann konnte sie den Impuls nicht mehr unterdrücken und verkroch sich unter ihrem Bett. Aber auch dort wurde es nicht wirklich besser. Der Boden war hart und kalt. Ihr Kopf war voll mit Bildern von Karen und in ihrem Herzen pochte der Verlust wie eine offene Wunde. Wie nur … wie sollte sie jemals ohne Karen zurechtkommen?
Spike war da auch keine Hilfe. Er hatte wohl keine Lust auf eine Nacht unter dem Bett und ließ sich einen Meter neben dem Bett nieder.
Eine Weile beobachtete Livia ihn noch, dann fiel sie in einen unruhigen Schlaf, der nicht durch Erholung, sondern durch nervenaufreibende Träume gekennzeichnet war. Und immer kam Karen darin vor. Karen, die ihr ein Baby in den Arm drückte. Und dann Karen, die von zwei Männern in Weiß in einen Krankenwagen gesperrt wurde … Sie wehrte sich heftig und rief immer wieder Livias Namen. Aber sosehr sich Livia auch bemühte, so schnell sie auch rannte, sie konnte die Distanz zum Krankenwagen einfach nicht überbrücken. Als dann auch noch die Hecktür hinter Karen zugeschlagen wurde, schreckte Livia hoch.
Sie stieß mit dem Kopf schmerzhaft gegen ihren Lattenrost und war sofort hellwach. Stöhnend tastete sie sich unter dem Bett hervor, bekam Spike zu fassen und klammerte sich erst einmal Schutz suchend an ihm fest. Dann starrte sie mit weit aufgerissenen Augen in ihre Umgebung. Um sie herum war es finster, doch begriff sie schnell, dass draußen ein heftiges Gewitter tobte. Blitz und Donner wechselten sich ab und folgten so schnell aufeinander, dass das Zentrum direkt über ihnen zu sein schien. Kein Wunder, dass sie die Geräusche in ihren Traum eingebaut hatte …
„Nur ein Traum“, flüsterte Livia. Aber das „Nur“ traf nicht den Kern der Sache. Denn es gab keinen Traum, aus dem sie hätte erwachen können. Die Realität übertraf den Traum sogar noch. Karen war tot. Es gab keinen Krankenwagen, aus dem man sie hätte befreien können. „Karen“, flüsterte Livia und schlang beide Arme ganz fest um Spike. „Karen!“ Schließlich setzte sie das Tier wieder ab und verkroch sich unter ihre Bettdecke.
Eine Zeit lang vermischte sich ihr Schluchzen mit dem Rauschen des Windes und den heftigen Donnerschlägen. Dann wurde alles zusammen ein bisschen ruhiger und schließlich wieder ganz still. Trotzdem war an Schlaf nicht einmal zu denken. Livia war hellwach und so aufgewühlt, dass ihre Beine wie von selbst unter der Decke herumzappelten. Dabei wollte sie nichts lieber als schlafen. Schlafen und vergessen. Schlafen und die Zeit herumkriegen. Oder gar schlafen wie Karen? Und nichts mehr spüren? Nicht mehr weinen? Nicht mehr kämpfen …
Als Livia merkte, dass sich ihre Gedanken in eine ungute Richtung entwickelten, stand sie auf und zog sich an. Sie brauchte jetzt dringend ein bisschen frische Luft!
Ohne sich davon abhalten zu lassen, dass es inzwischen halb drei und damit tiefste Nacht war, schlich sie mit Spike auf den Flur hinaus, schlüpfte in Jacke und Schuhe und trat vor die Tür. Obwohl der Regen inzwischen aufgehört hatte, war es noch extrem windig. Livia kuschelte sich fest in ihren Mantel und atmete die kalte, klare Luft tief in sich hinein.
Die frische Luft tat Livia gut, sorgte aber nicht dafür, dass ihre innere Unruhe verschwand. Im Gegenteil. Sie hatte jetzt das Gefühl, als würde irgendetwas sie von hier forttreiben. Aber wohin?
Spike schien das zu spüren, denn er blickte immer wieder zu ihr auf und tänzelte um ihre Beine herum.
„Schon gut“, beruhigte Livia ihn.
Sie vergewisserte sich, dass sie den Schlüssel eingesteckt hatte, schloss leise die Haustür und ging ein paar Schritte die Einfahrt hinunter. Die Straßenlaternen waren bereits ausgeschaltet. Wäre der Mond nicht gewesen, hätte sie wohl überhaupt
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