Als gaebe es kein Gestern
Gesicht. „Heißt das, dass …“ Und dann brach es förmlich aus ihm heraus: „… die Wartezeit jetzt vorbei ist?“
Livias Lippen begannen zu zittern. Vor dieser Schlussfolgerung hatte sie sich am meisten gefürchtet. Im Grunde hatte sie ja vermutet, dass seine schlechte Laune und vielleicht sogar seine heftige Reaktion wegen Karens Bett eng mit ihrer Unnahbarkeit zusammenhingen. Und dennoch … wenn sie sich nur überzeugen könnte … dann wäre die Wartezeit doch vorbei!
Sie nickte tapfer und musste im nächsten Moment dabei zusehen, wie sich ein Strahlen über Arvins Gesicht legte.
„Das ist …“ Er wollte die Zeitung falten, die er noch immer in Händen hielt, knüllte sie aber mehr und warf sie achtlos auf den Wohnzimmertisch. „Das ist toll!“
Livia schluckte schwer. „Wenn … wenn du nichts dagegen hast, hole ich ein bisschen Speiseöl, dann kann ich dich besser durchkneten.“
„Ach ja, die Massage“, erinnerte sich Arvin. „Wo …?“
„Hier!“, antwortete Livia schnell. Schon der Gedanke ans Schlafzimmer war zu viel für sie. „Auf dem Sofa, okay?“
Arvin blickte einmal zum Sofa hinüber und nickte dann langsam.
„Zieh doch schon mal den Pullover aus“, schlug Livia vor. „Ich bin gleich wieder da.“ Mit diesen Worten flüchtete sie aus dem Wohnzimmer, stürzte in die Küche und lehnte sich dort erst einmal schwer atmend gegen die Tür. Ihr war nach Heulen, Schluchzen und Schreien zumute, aber bestimmt nicht nach einer sanften Rückenmassage. Deshalb dauerte es lange, ausgesprochen lange, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie mit der Flasche Öl ins Wohnzimmer zurückkehren konnte. Dort angekommen, musste sie feststellen, dass es sich Arvin bereits auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte. Er hatte sich oben herum frei gemacht, lag auf dem Bauch und wartete auf sie.
Beim Anblick seiner überaus kräftigen Rückenmuskulatur wurden Livias Knie noch eine Spur weicher.
„Konntest du das Öl nicht finden?“, murmelte er mit tiefer Stimme.
„Doch, doch“, antwortete Livia und schraubte mit zitternden Fingern am Deckel der Flasche herum. Gleichzeitig konnte sie ihren Blick nicht von Arvins Muskeln nehmen. Wie sie sich wohl anfühlten …
Abgelenkt, wie sie war, kippte sie im nächsten Moment eine so große Menge Öl über seinem Rücken aus, dass Arvin erschrocken zusammenzuckte. „Kalt!“, bemerkte er.
Die nächsten dreißig Sekunden war Livia damit beschäftigt, das Öl auf Arvins Rücken zu halten und zu verhindern, dass es aufs Sofa lief. Immerhin lag eine Packung Papiertaschentücher auf dem Wohnzimmertisch, die sie zu diesem Zweck missbrauchen konnte. Als die Gefahr schließlich gebannt war, fragte Arvin: „Kommt jetzt der angenehme Teil?“
Livias Blick wanderte zwischen ihren Händen, die ohnehin voller Öl waren, und Arvins ausgeprägter Rückenmuskulatur hin und her. Für einen Rückzieher war es jetzt ohnehin zu spät!
Ohne zu wissen, ob sie in ihrem Leben jemals eine Massage durchgeführt hatte, legte sie ihre Hände auf Arvins Schultern und begann, sie hin und her zu bewegen. Da sie mit ihrer rechten Hand ohnehin nur eingeschränkt Druck ausüben konnte, passte sie sie an dieses Level an und massierte ihn überaus zart und vorsichtig. Ihre Bewegungen standen in krassem Gegensatz zu seinen harten, verspannten Muskeln, hatten aber dennoch eine erstaunliche Wirkung.
Die Art, wie er atmete, wie er manchmal scharf die Luft einsog, dann wieder abgehackt ausatmete, das alles verbunden mit den wohligen Seufzern, die er von Zeit zu Zeit ausstieß, ging Livia durch und durch.
Livia ertappte sich dabei, wie sie die Augen schloss und einfach die Berührung und seine Reaktion darauf genoss. Es kam ihr vor, als hätte sie seit hundert Jahren, vielleicht seit ihrer Kindheit keinen anderen Menschen mehr berührt. Und schon gar nicht so berührt … Ob das so war?
Ihr Herz schlug immer schneller. Gleichzeitig breitete sich die Wärme, die in ihren Händen pulsierte, auf seltsame Weise über ihren ganzen Körper aus und setzte eine solche Sehnsucht frei, einen solchen Schmerz, dass sie irgendwann glaubte, es nicht mehr aushalten zu können. Ohne es zu wollen, ja, ohne es verhindern zu können, schossen Tränen in ihre Augen und tropften auf Arvins Rücken.
Livia war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie es zuerst gar nicht mitbekam, als Arvin sich versteifte. Erst als er sich plötzlich aufrichtete und Livia erschrocken ansah, wurde ihr klar, dass er ihre
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