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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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nicht erst einmal reinkommen?“
    Livia schüttelte stumm den Kopf.
    Frau Lorenz atmete einmal tief durch und strich sich eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei hinterließ sie einen Streifen aus dunkler Erde auf ihrer Wange. „ Einen Baum hat er gefällt“, sagte sie und lächelte verlegen. „Aber nicht ganz freiwillig … Wissen Sie, er stand schon fast auf der Grundstücksgrenze. Ungefähr dort …“ Sie deutete auf den dunkelgrünen Gartenzaun, der die beiden Grundstücke voneinander trennte. „Sollte ich etwa zulassen, dass er unseren Zaun kaputt macht?“, ereiferte sie sich. „Die Wurzeln waren schon dabei, ihn anzuheben.“
    „Es gab also eine Gerichtsverhandlung“, schlussfolgerte Livia.
    Frau Lorenz nickte. „Und was für eine …“
    „Und dann hat er den Baum gefällt?“
    Frau Lorenz nickte erneut. „Ihm blieb nichts anderes übrig.“ Ihr Blick wanderte in die Ferne. „Ich sehe ihn immer noch vor mir … die Kettensäge im Anschlag … die Miene so finster, als würde er sich jeden Moment an uns rächen.“ Sie schauderte. „Ob Sie es glauben oder nicht, wir haben uns damals ein zweites Schloss angeschafft …“
    Livia schluckte. Frau Lorenz stand mit ihren Befürchtungen nicht ganz allein da …
    „Und dabei hab ich nie verstanden, warum diese Geschichte so ein Drama für ihn war“, fuhr die Frau fort. „Seit dem Tag, an dem er den Baum gefällt hat, hat er kein Wort mehr mit uns gesprochen. Es war … ich weiß auch nicht … als hätten wir seinen Hund getötet oder so was …“
    Wie kannst du es wagen ?, erinnerte sich Livia an Arvins Reaktion auf die Pflanzen im Wohnzimmer.
    „Irgendwie tut mir die ganze Sache leid“, seufzte Frau Lorenz. „Garten hin oder her – die Nachbarn auf der anderen Seite sind noch schlimmer. Die feiern eine Party nach der nächsten. Und das bis nachts um vier.“ Sie zuckte die Achseln. „Es ist eben alles relativ.“ Und dann schenkte sie Livia ein freundliches Lächeln. „Ich finde, Sie sehen nett aus … irgendwie … netter als früher. Meinen Sie nicht, wir könnten ganz von vorne anfangen?“
    Livia entspannte sich. „Warum nicht?“, lächelte sie. „Schließlich muss es auch mal einen Vorteil haben, wenn man sich an nichts erinnern kann.“
    ❧
    Der Sonntag war ein ebenso schöner Frühlingstag wie der Samstag.
    Um Arvin weder im Bad noch in der Küche zu begegnen, saß Livia schon morgens um halb neun fertig angezogen vor der Tür und wartete. Von Karen wusste sie, dass der Gottesdienst um zehn Uhr anfing. Es konnte also nichts schiefgehen …
    Anfangs genoss sie das Zwitschern der Vögel und die völlige Abwesenheit von Autolärm und anderen menschlichen Geräuschen. Sie beobachtete die Ameisen, die sich direkt vor ihrer Nase eine Straße gebaut hatten und eilig darauf herumwuselten. Obwohl das Ganze ziemlich chaotisch aussah, hatte sicher jede Bewegung ihren Zweck.
    Sie hingegen ging heute Vormittag einen Weg, der ihr mehr als zweifelhaft erschien. Was erhoffte sie sich eigentlich davon? Nahm sie wirklich an, dass man ihr in dieser Kirche ihre Fragen beantworten würde? Dass sie erfahren würde, was zwischen ihr und Arvin vorgefallen war? Ihr Blick wanderte einmal mehr durch seinen Garten. Wer war er nur? Sah es in seinem Herzen genauso unaufgeräumt aus wie hier? Oder genauso zugewuchert?
    Sie seufzte tief. Dieser Mann war ein einziges Rätsel. Ihr Leben war ein einziges Rätsel …
    Um die Wartezeit zu verkürzen, erhob sie sich und schlenderte ein bisschen durch den Garten. Manchmal meinte sie, die Reste früherer Strukturen zu erkennen, einmal stieß sie gar auf Platten, die von einem Weg zeugten, bis auf wenige Zentimeter in der Mitte aber bereits zugewuchert waren.
    Ob Arvins Eltern diesen Weg angelegt hatten? Ob es hier einmal einen schicken Garten mit Rasen und Beeten gegeben hatte?
    Sie ging weiter, gelangte in eine besonders stark bewachsene Ecke des Gartens und stand plötzlich vor den Überresten eines kleinen morschen Holzkreuzes. Im ersten Moment schlug ihr das Herz bis zum Hals und die furchtbarsten Gedanken überfluteten sie. Was, wenn Arvin ein Mörder war, der seine Eltern auf dem Gewissen hatte? Der sie hier verscharrt hatte und deshalb nicht ertragen konnte, dass irgendetwas verändert wurde???
    Im nächsten Moment entzifferte sie das grünliche Wort „Spike“ und entspannte sich ein wenig. Das klang nach einem Hund. Arvins Hund?
    Sie sah auf ihre Uhr und stellte fest, dass es schon Viertel nach neun

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