Als gaebe es kein Gestern
verändern … als hätte sie plötzlich eine ganz bestimmte Anordnung dieser Blumen vor Augen. Sie versuchte den Eindruck zu nähren … da war ein Rechteck aus blauen Hyazinthen und dann …
Die Nachbarin hatte Livia inzwischen bemerkt und sich erhoben. „Guten Morgen“, sagte sie.
Livia streckte die Hand aus, als könnte sie das Bild dadurch festhalten, aber dann flog es von dannen wie ein Seidentuch, das vom Wind fortgerissen wurde. „Ein Rechteck“, murmelte sie, „aus blauen Hyazinthen. Hab ich so was mal gepflanzt?“
Frau Lorenz, die Nachbarin, ergriff die Hand, die ihr entgegengestreckt wurde, und schüttelte sie, was zur Folge hatte, dass Livia umgehend in die Realität zurückkehrte. Die Hand war hart und sandig.
„Sie haben noch nie Blumen gepflanzt“, stellte Frau Lorenz klar. Sie war schon an die fünfzig und ausgesprochen hager. Ihre kleinen wachen Augen blickten lauernd hinter einer dicken Brille hervor. Sie deutete auf Livias Garten. „Das sieht man doch, oder?“
Livia blickte hinter sich und vermochte nichts dazu zu sagen. Der Garten – wenn man ihn denn als einen solchen bezeichnen wollte – war ein zugewucherter Dschungel, nicht mehr und nicht weniger. „Früher auch nicht?“, fragte sie. „Ich meine … vor meinem Unfall …“ Sie dachte daran, dass sie gelernte Floristin war … und dass Arvin sie einmal geliebt haben musste … „Am Anfang meiner Ehe“, sagte sie deshalb versonnen. Damals, als wir noch jung und glücklich waren, fügte sie gedanklich hinzu. „Da sah es hier doch bestimmt ganz anders aus.“
Die Nachbarin sah forschend in Livias Augen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Kindchen. Sie sehen doch selbst …“ Sie hatte noch ein bisschen Kraut in ihrer linken Hand und deutete damit auf die Bäume und Büsche in Arvins Garten. „Das hier wächst schon, solange wir hier wohnen. Wo, bitte schön, ist da Platz für Blumen?“
Livia schluckte und starrte entsetzt auf eine besonders riesige Tanne. Die Frau hatte recht, so etwas wuchs nicht in ein paar Jahren. Sie schauderte. „Und wie lange wohnen Sie hier?“
„Acht Jahre.“
Acht Jahre. Und sie war erst seit vier Jahren mit Arvin verheiratet. Das bedeutete dann wohl, dass er ihr niemals – auch nicht am Anfang ihrer Ehe – gestattet hatte, Blumen zu pflanzen. „Und wie war ich so?“, fragte sie unwillkürlich. „Haben Sie mich mal lächeln sehen?“
Frau Lorenz schüttelte verwundert den Kopf. „Geht es Ihnen gut?“
Nein! , hätte Livia kreischen mögen. Nein ! „Hatten wir überhaupt Kontakt?“, hörte sie sich fragen.
In dem etwas verblödeten Gesichtsausdruck ihrer Nachbarin dämmerte ein wenig Licht. „Sie erinnern sich nicht!“, flüsterte sie. Und dann atmete sie stoßartig ein. „Meine Güte, deshalb sind Sie so freundlich!“
Livia runzelte verwundert die Stirn. „Wie bitte?“
„Ist es so oder nicht?“, brach es aus ihrer Nachbarin hervor.
Livia seufzte tief. „Der Unfall … Ich habe mein Gedächtnis verloren, ja.“
„Amnesie?“ Frau Lorenz schlug aufgeregt die Hände zusammen. „Ganz und gar?“
Livia nickte.
„Wenn ich das Manfred erzähle …! Das ist … Wollen Sie nicht reinkommen? Ich könnte Ihnen einen Kaffee kochen. Bitte! Ich erlebe hier nicht viel. Amnesie. Das gibt es sonst nur im Fernsehen!“ Frau Lorenz ließ vor Aufregung ihr Unkraut fallen und packte Livia am Oberarm. Als ihr jedoch auffiel, dass sie deren Pullover mit schwarzem Sand beschmutzte, ließ sie sie sofort wieder los. „Wir müssen uns unterhalten, bitte!“
Livia trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Weshalb haben Sie gesagt, ich sei freundlich?“, fragte sie misstrauisch.
„Ach das“, seufzte Frau Lorenz. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Ihr Gedächtnis verloren haben, dann hätte ich mir diese Bemerkung gespart.“ Sie zuckte bedauernd mit den Schultern. „Wenn ich ehrlich bin, hatten wir nicht das beste Verhältnis.“ Ihr Blick wanderte in Arvins Garten zurück. „Ich war vielleicht manchmal etwas harsch. Aber es war ja auch berechtigt. Wer möchte schon ein solches Nachbargrundstück haben?“
„Niemand“, nickte Livia und dachte: Jedenfalls niemand außer Arvin. „Und Ihr Verhältnis zu Arvin …“, fragte sie,
„… war … ist … das genauso gestört?“
„Na ja …“, druckste Frau Lorenz herum, „seit der einstweiligen Verfügung schon.“
Livia hob ihre dunklen Augenbrauen. „Einstweilige Verfügung?“
Ihre Nachbarin wand sich. „Wollen Sie
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