Als gaebe es kein Gestern
war. Von ihrem jetzigen Standort aus konnte sie Arvins Wagen nicht sehen. Vielleicht war es besser, wenn sie in den vorderen Bereich zurückkehrte … Sie wollte gerade um die Hausecke biegen, als sie hörte, wie ein Wagen gestartet wurde. Irritiert hechtete sie los und sah Arvin mit dem Wagen rückwärts vom Hof fahren.
„Warte!“, kreischte sie und rannte hinter dem Wagen her.
Wenig später hielt er an.
Als Livia die Beifahrertür öffnete, keuchte sie verärgert: „Wir waren verabredet!“
„Du warst aber nicht zu entdecken“, gab Arvin zurück. Er hatte sich ganz schön herausgeputzt. Jedenfalls trug er ein dunkles Jackett und ein helles Hemd, allerdings ohne Krawatte. „Ich musste annehmen, du würdest noch schlafen.“
„Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken“, fauchte Livia und krabbelte in den Wagen.
„Oder die Gewohnheit“, gab Arvin zurück. „Früher warst du nämlich auch nicht gerade scharf darauf, mit in den Gottesdienst zu kommen.“
„Warum nicht?“, fragte Livia, erntete auf diese Frage allerdings nur ein abwehrendes Grunzen. Genervt legte sie den Gurt an. „Ich finde es nicht gut, dass du die Vergangenheit totschweigst“, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, dass man sich als Christ so verhalten sollte. Ich hab gar keine Chance, mich zu verteidigen!“
„Ach ja, richtig, du hältst nichts vom Glauben, wusstest aber schon immer, wie Christen leben sollten, nicht wahr?“, knurrte Arvin und kuppelte so unbeholfen, dass sich das Getriebe beschwerte.
„So meine ich das doch nicht“, erwiderte Livia und hob hilflos die Hände. „Du drehst mir jedes Wort im Mund um!“
„Dann schweig doch.“
Livia sah aus dem Fenster und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Warum war er nur so?
Sie fuhren eine ganze Weile durch die Stadt, bevor sie auf einen kleineren Parkplatz einbogen, auf dem bereits einige Autos standen. Arvin parkte den Wagen, schaltete den Motor ab und stieg aus. Wenn Livia allerdings angenommen hatte, dass er sich jetzt ein bisschen um sie kümmern würde, dann hatte sie sich getäuscht. Er wartete nicht einmal auf sie, sondern marschierte einfach in irgendeine Richtung.
Livia wischte sich kurz über ihre Augen, sprang dann aus dem Wagen und hechete hinter Arvin her. Ein schmaler gepflasteter Weg führte vom Parkplatz durch eine Grünanlage und von dort auf einen Fußweg. Livia ging ungefähr drei Schritte hinter Arvin, ihre Schultern wirkten eingefallen, ihr Schritt zögerlich. Was hätte sie darum gegeben, wenn er sich zu ihr umgedreht und ihr irgendwie das Gefühl gegeben hätte, dass sie nicht allein war! Aber er marschierte nur vorwärts, mit zackigen Bewegungen und stolzer, unnahbarer Haltung.
Livia hatte sich gerade damit abgefunden, dass er sie den gesamten Vormittag über ignorieren würde, als er plötzlich stehen blieb.
Vor lauter Schreck stoppte auch Livia.
In etwa dreißig Metern Entfernung entdeckte sie eine Tür, die sich ständig öffnete und wieder schloss. Livia schluckte. Den Menschenmassen nach zu urteilen, die durch diese Tür traten, war dies eine ziemlich große Gemeinde. Sie atmete schwerer. Schon der Gedanke an Hunderte von Menschen nahm ihr die Luft zum Atmen.
In diesem Zustand fiel ihr gar nicht auf, dass Arvin unruhig von einem Bein auf das andere tippelte und sich dann schließlich verärgert zu ihr herumdrehte. „Warum kommst du denn jetzt nicht?“, ranzte er sie an.
Livias Augen weiteten sich. „Was? Wohin?“, stammelte sie.
Arvin verdrehte die Augen, ging auf sie zu, packte sie am linken Ellenbogen und zog sie mit sich in Richtung jener Tür.
Livia ließ es geschehen, obwohl ihr die Berührung eher unangenehm war. Es kam ihr so vor, als wäre es das erste Mal, dass er sie überhaupt berührte! Und sein Griff war hart, hart und unfreundlich!
Sie passierten die Tür.
Im Foyer des Gebäudes standen – so kam es Livia jedenfalls vor – Hunderte von Menschen herum. Fröhliches Geplapper erfüllte den Raum. Eine junge Frau stand nah am Eingang und wandte sich ihnen umgehend zu. „Hallo, Arvin!“ Die Frau war vielleicht Mitte zwanzig, hatte lange braune Haare und ein hübsches Gesicht. Als sie Arvins Hand schüttelte, war ihr Blick bereits auf Livia gerichtet. „Wen hast du denn da mitgebracht?“
Arvin räusperte sich kurz. „Meine … Frau.“
Verlogener Mistkerl , dachte Livia und reichte der Frau die Hand. Ihre Meinung über diese Kirche war
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