Als gaebe es kein Gestern
Wasserbehälter um. „Aber?“, wollte sie wissen.
„Nichts aber, es ist nur …“ Und dann brach es ungehindert aus ihr heraus: „Glaubst du, man kann übers Internet auch Menschen finden?“
Gunda, die inzwischen damit begonnen hatte, Kaffeepulver in den Filter zu füllen, sah sich verwundert zu ihr um. „Was für Menschen?“
Das Aroma von Kaffee stieg in Livias Nase. „Meine Eltern zum Beispiel. Sie heißen Walter und Annemarie Voigt und wohnten bis vor ein paar Jahren in Essen.“
„Und du hast keine aktuelle Adresse?“
Livia schüttelte stumm den Kopf.
„Geburtsdaten? Mädchenname?“
Livia nickte.
„Dann geht es bestimmt“, überlegte Gunda und stellte die Dose mit dem Kaffeepulver in den Schrank zurück.
„Wirklich?“, freute sich Livia und begann aufgeregt zu wippen. „Können wir sofort anfangen zu suchen?“
Gunda schaltete die Kaffeemaschine ein. „Wieso wir? Du hast gefragt, ob man Menschen übers Internet finden kann. Nicht, ob ich das kann.“ Wenig später ertönte das charakteristische Gurgeln und Zischen, mit dem das heiße Wasser in den Filter sprudelte.
„Kannst du es denn nicht?“, fragte Livia zutiefst enttäuscht.
Gunda seufzte tief, schob Livia mit sanftem Druck zum Küchentisch hinüber und platzierte sie auf dem erstbesten Stuhl. Dann setzte sie sich neben sie. „Erstens kann ich diese Frage im Grunde gar nicht beantworten. Schließlich hab ich so was noch nie probiert …“
„Und zweitens?“
„Zweitens frag ich mich allmählich, in welcher Reihenfolge ich meine vielen Aufgaben abarbeiten soll …“, schmunzelte Gunda.
„Wie meinst du das?“
„Na ja … ich hätte gern gewusst, ob wir zuerst den Labrador suchen, die Blumen pflanzen oder etwas über deine Eltern in Erfahrung bringen.“
„Die Blumen und der Hund … ach ja“, erinnerte sich Livia und dachte einen Moment lang nach. Ihre Eltern zu finden erschien ihr im Moment am wichtigsten. Aber was sollte sie so lange mit den Blumen machen? „Können wir die Blumen in eurer Garage zwischenlagern?“, fragte sie Gunda.
„Nein, können wir nicht!“, antwortete Gunda und furchte ihre ohnehin schon recht zerknitterte Stirn. „Wenn du sie gekauft hast, werden sie auch eingepflanzt. In der Garage werden sie viel zu schnell welk.“
„Aber ich hab gar keine Lust mehr, sie einzupflanzen“, seufzte Livia. Und das stimmte. Die Begegnung mit dem Mann aus dem Krankenhaus hatte Livia bis ins Mark erschüttert. Im Moment fühlte sie sich nicht in der Lage, auch noch Arvin gegen sich aufzubringen.
„Aber ich hab mich schon so auf diesen kleinen Lichtblick gefreut“, schmollte Gunda. „Wenn du willst, dass ich noch mehr Zeit im Internet verbringe, solltest du mich ein bisschen bei Laune halten.“
Das war ein überaus schlagkräftiges Argument, fand Livia und wagte nicht mehr zu widersprechen.
❧
Es war nicht schwierig, das Beet so vorzubereiten, dass es die Blumen aufnehmen konnte. Die Gartenarbeit machte Spaß, außerdem gab es tatsächlich nur Blätter, Zweige und Kraut auf dem Boden. Obwohl das Wetter nicht gerade berauschend war und gelegentlich auch ein paar Tropfen Regen vom Himmel fielen, war es wundervoll, wie dieser kleine Teil des Gartens Gestalt annahm. Und sie, Livia, hatte es in der Hand! Jedenfalls in der linken … Ihre rechte Hand tat noch immer nicht das, was sie sollte. Gröbere Arbeiten, die konnte sie auch mit rechts verrichten. So war es kein Problem mehr, mit beiden Händen eine Schubkarre zu schieben oder einen Rechen zu führen, mit rechts einen Eimer zu tragen oder auch ein Loch zu graben. Feinere Arbeiten hingegen wie das Einpflanzen der Blumen und das Festdrücken der Erde wurden immer mehr zur Aufgabe ihrer linken
Hand.
Sie ordnete die Blumen so an, dass sie ein kreisförmiges Muster beschrieben. In die Mitte pflanzte sie ein Stiefmütterchen, um dieses herum einen kleinen Kreis gelber Primeln, dann wieder Stiefmütterchen, dann pinkfarbene Primeln und zuletzt erneut Stiefmütterchen.
Eine Augenweide … Und wie es erst roch! Livia war sich auf einmal sicher, dass es keinen Duft gab, der an Blumen heranreichen konnte.
„Das sieht toll aus“, lobte auch Gunda das fertige Werk. „Richtig toll!“
Manfred war bei seiner Rückkehr ebenso voll des Lobes. „Du bist die geborene Gärtnerin, Livia. Dein Mann wird begeistert sein.“ Er wusste es halt nicht besser …
Und gerade deshalb war Livia alles andere als fröhlich, als sie nach getaner Arbeit ins Haus
Weitere Kostenlose Bücher