Als gaebe es kein Gestern
liebevoll beschnittene Büsche, frei stehende Obstbäume, ja, sogar einen kleinen Teich, der von Schilfgräsern umrahmt war und durch einen Wasserlauf gespeist wurde. Jener Wasserlauf machte sich das etwas abfallende Gelände zunutze, bestand aus treppenförmig angeordneten Natursteinen und erweckte dadurch den Eindruck eines natürlichen Wasserfalles in Miniformat.
„Dein Garten ist so wunderwunderschön“, schwärmte Livia, als sie erneut das Arbeitszimmer betrat. „Er ist eine Million Mal schöner als unserer.“
„Das“, lächelte Gunda, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, „könnte man ändern, oder etwa nicht?“
Livia unterdrückte einen Seufzer. Sie hatte den Lorenzens verschwiegen, wie verbohrt Arvin in dieser Hinsicht war und wie wenig Einfluss sie auf ihn hatte. „Um unseren Garten zu sanieren, bräuchte man Jahre“, sagte sie stattdessen.
„Man könnte ja klein anfangen“, schlug Gunda vor. Ihre rechte Hand führte immer noch die Maus über das Pad. Ab und zu klickte eine der beiden Tasten. „Vorne zum Beispiel, direkt an der Straße, da wächst nicht so viel. Man müsste nur das viele Laub entfernen, das da schon seit Jahrzehnten liegt, und könnte ohne größere Probleme ein kleines Blumenbeet anlegen. Primeln und Stiefmütterchen … wie klingt das für dich?“
Livia antwortete nicht gleich. „Schätze, das käme dir sehr gelegen“, sagte sie schließlich. Das Misstrauen war aus diesen Worten deutlich herauszuhören.
Gunda zuckte die Achseln. „Du hast davon angefangen“, sagte sie. „Ich hab mich an dieses Chaos allmählich gewöhnt.“ Sie musste lachen. Es klang ein wenig glucksend. „Von mir aus kannst du auch noch ein paar Büsche pflanzen.“
„Ha, ha“, machte Livia und fragte sich, ob auch nur ein weiterer Busch in diesem Schattenreich überleben würde. Gleichzeitig stellte sie sich vor, wie das Grundstück wirken würde, wenn es sich hinter gelben und pinkfarbenen Primeln befände. Das wäre doch ein Unterschied wie Tag und Nacht! Abgesehen davon … wäre es ein gelungener Racheakt für Arvin. Die Sache mit dem Hund würde ohnehin noch ein bisschen dauern. Und bis dahin sollte doch keine Langeweile aufkommen, oder?
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Als Livia am nächsten Morgen einkaufen ging, standen statt Lakritz und Weintrauben ein paar Süßigkeiten für sie selbst sowie einige Primeln und Stiefmütterchen auf ihrem Einkaufszettel. Sie hatte die Pflanzen schon besorgt und stand nun grübelnd vor dem Regal mit den Weingummis, als sie plötzlich von hinten angesprochen wurde.
„Livia!“
Sie wirbelte erschrocken herum und sah … ihn . Er stand direkt vor ihr! Ein großer schlanker Mann mit einer Baseballkappe, die einen dunklen Schatten auf seine Augen warf. Der Mann aus dem Krankenhaus! Unwillkürlich trat Livia einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken gegen das Regal. Auch aus der Nähe machte der Mann ihr Angst. Obwohl er eigentlich ganz gut aussah, umgab ihn eine Aura von Unbarmherzigkeit. „Du tust so, als würdest du mich nicht kennen.“
„W-wie bitte?“, stammelte Livia. Hinter ihrem Rücken knisterten die Plastiktüten irgendwelcher Gummibären.
„Glaubst du wirklich, dass du mich so einfach abservieren kannst?“
Livia schluckte hörbar und drückte sich mit all ihrer Kraft gegen das Regal. „Ich verstehe nicht“, hauchte sie.
„Ich will die Hälfte“, flüsterte der Mann. „Nicht mehr und nicht weniger! Ruf mich an!“
„Frau Scholl?“, fragte eine Stimme, die von weither zu kommen schien.
Sofort trat der Mann ein paar Schritte zurück.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte die Stimme erneut. Sie kam von links und gehörte zu Frau Bellmer, einer Mitarbeiterin des Lebensmittelmarktes, die jetzt den Gang entlang auf Livia zukam.
„Ruf mich an!“, wiederholte der Mann, drehte sich um und ging in entgegengesetzter Richtung davon.
„Geht es Ihnen gut?“ Die junge zierliche Verkäuferin mit den feuerroten Haaren hatte Livia jetzt erreicht und sah dem Mann misstrauisch nach. „Hat er Sie belästigt?“
„Er kennt meinen Namen“, flüsterte Livia und schauderte aus tiefster Seele.
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Livia war aufgrund dieses Erlebnisses so verstört, dass Frau Bellmer sie nicht allein nach Hause schicken wollte. Sie rief Karen an, die schon nach kürzester Zeit erschien, um Livia abzuholen. Unglücklicherweise war Livia so durch den Wind, dass sie Karen nur berichten konnte, dass der Mann aus dem Krankenhaus plötzlich vor ihr aufgetaucht war. Den Inhalt
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