Als gaebe es kein Gestern
zurückkehrte. Sicher würde Arvin heute Abend bei ihr aufkreuzen und seinen ganzen Frust über ihr ausschütten. Und sie? Würde sie dem standhalten können?
Eine ganze Zeit lang versuchte sie sich seelisch auf den unvermeidbaren Streit vorzubereiten, aber je öfter sie sich seinen letzten Auftritt ins Gedächtnis zurückrief, desto unwohler fühlte sie sich. Was, wenn seine Wut noch steigerungsfähig war? Was, wenn er ihr etwas antat???
Ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute, die verstrich und den Abstand zu zehn Uhr verringerte. Sie stand auf, ging in ihr Zimmer und schloss sich ein. Sollte er seine Wut doch an etwas anderem auslassen!
❧
Livia wachte auf, als ein Auto vom Hof fuhr. Erstaunt setzte sie sich auf. Sie hatte geschlafen wie ein Baby und nichts, aber auch gar nichts mitgekriegt. Nicht einmal Arvins Rückkehr. Schon gar nicht den Versuch, in ihr Zimmer einzudringen und auf sie einzuschimpfen!
Sie streckte sich und gähnte einmal herzhaft. Was hatte das zu bedeuten? War es möglich, dass er das Beet im Dunkeln übersehen hatte? Aber spätestens heute Morgen – eben – musste er daran vorbeigefahren sein. Und es befand sich ganz vorn am Grundstück, noch dazu direkt neben der Pflasterung. Nein, unmöglich, es war keinesfalls zu übersehen.
Sie stand auf und ging ins Badezimmer. Vom Fenster aus versuchte sie einen Blick auf ihr Beet zu erhaschen, hatte aber keinen Erfolg. Die dazwischenstehenden Büsche und Sträucher nahmen ihr die Sicht. Sie wusch sich und begann sich anzuziehen.
Als sie gerade in ihre Jeans schlüpfte, klingelte es an der Tür.
Erschrocken hielt sie in ihrer Bewegung inne. Arvin? War er zurückgekommen, um ihr die Leviten zu lesen? Aber dann würde er doch nicht klingeln! Er hatte doch einen Schlüs-
sel!
Es klingelte erneut und gleich dreimal hintereinander … ungeduldig.
Livia zog sich hektisch fertig an und rannte dann in Richtung Flur. Als sie ihn erreicht hatte, verlangsamten sich ihre Schritte allerdings wieder. Fast ein bisschen ängstlich näherte sie sich der Eingangstür. „Wer ist da?“, fragte sie misstrauisch.
„Ich bin’s – Gunda! Bist du nicht ganz bei Trost?“
„Ist … ist Arvin bei dir?“, fragte Livia ihrerseits.
„Häh? Nee, wieso?“
Jetzt erst war Livia so weit beruhigt, dass sie nach dem Schlüssel griff und die Tür aufschloss.
„Wieso Arvin?“, fragte Gunda, als sie Livia endlich zu Gesicht bekam. Sie war fertig angezogen, hatte aber ganz offensichtlich ihre Haare noch nicht zu Ende gekämmt. Sie standen zu allen Seiten ab und erweckten ein wenig den Eindruck eines Handfegers. Dadurch wirkte sie selbst noch schmaler und zerbrechlicher als sonst. „Du weißt doch, dass wir kein Wort miteinander reden!“
„Schon … Aber wieso hast du gefragt, ob ich nicht ganz bei Trost bin?“
„Das Beet!“, brach es aus Gunda hervor. „Manfred hat mich eben erst von der Arbeit aus angerufen! Es war doch so, so schön!“
„Sicher war es schön“, stammelte Livia und dann dämmerte ihr etwas. „ War ?“, fragte sie ungläubig.
Gundas Blick wurde mit einem Mal so prüfend und durchdringend, dass sich Livia darunter zu winden begann. Um jetzt bloß nichts Falsches zu sagen, flüchtete sie nach draußen. Die Hofpflasterung fühlte sich rau und kalt an unter ihren nackten Füßen. Aber es brauchte nur wenige Schritte, dann sah sie, was Gunda meinte. Das Beet – es war weg.
Fassungslos trat sie näher. Dort, wo sie gestern so liebevoll Blumen gepflanzt hatte, sah alles genauso aus wie … wie früher. Ja, wirklich! Hätte sie nicht gewusst, definitiv gewusst , dass sie hier Blumen gepflanzt hatte, dann hätte sie es nicht geglaubt. Die Blumen waren nicht zu sehen. Stattdessen lagen wieder Blätter und Zweige an der Stelle.
Livia konnte nicht anders. Sie fiel auf die Knie und begann sich durch die Blätter zu wühlen. Hier mussten irgendwo ihre Blumen sein!
Aber dem war nicht so. Unter den Blättern und Zweigen kam nur nackte schwarze Erde zum Vorschein. Sorgfältig geglättete schwarze Erde. Und keine einzige Blume.
„Was geht hier vor?“, fragte Gunda. Sie war unbemerkt neben Livia getreten und klang ziemlich … nun ja … argwöhnisch .
Livia schluckte und zog eilig ihre Hände unter den Blättern hervor.
„Ich …“, stotterte sie, „also … ich war … nicht wirklich zufrieden, weißt du?“ Sie lachte künstlich. „Die Anordnung! Sie war … einfach nicht das Richtige. Ich werde … es neu machen. Jawohl!“ Und das
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