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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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auf. Zu meiner Linken sah ich die gelben Rapsfelder, hinter denen, außer Sichtweite, das Meer lag. Der Wind peitschte mir um die Ohren, zerrte an meinen Haaren, und ich verschluckte mich beinahe daran. Wir bogen links in eine schmale, einspurige Straße, und vor jeder Kurve hupte ich, um die entgegenkommenden Autos auf uns aufmerksam zu machen. Aber es war ganz unnötig, denn wir begegneten niemandem, außer einer alten Dame mit ihrem Hund, die sich in die Hecke drückten, als wir vorbeifuhren. Bald würde ich ein Eis bekommen, und alles wäre gut. Ich würde ein Eis mit zwei Waffeltütchen nehmen und mir sagen, ich sei gar nicht so schlecht.
    » Morgen, Nancy, Morgen, Elly«, sagte Mr Copsey. » Was kann ich heute für euch tun?«
    Mr Copsey gehörte der kleine Kiosk hinterm Strand. Er hatte das ganze Jahr über geöffnet, ganz gleich, wie schlecht das Wetter war, und einmal, als Nancy wissen wollte, warum er das mache, antwortete er, ohne das Meer sei er nichts.
    Wir saßen an unserem üblichen Platz mit Blick über den felsigen Strand. Es war gerade Ebbe, und ein Teppich aus Schieferplanken, Seetang und Kieselsteinen erstreckte sich chaotisch von der Straße bis zum Rand des Wassers. Ich blickte hinüber zu den Häusern auf der Klippe und sah, was der heftige Sturm der vorvorletzten Nacht angerichtet hatte. Die Wellen hatten die Gärten überspült und Algen und sogar eine tote Möwe auf einem der Rasen zurückgelassen. Salzkrusten mussten von den Fenstern gekratzt werden, um den unbezahlbaren Meerblick wieder herzustellen.
    Wir waren der Sturmattacke so begegnet, wie wir den meisten unerwarteten Dingen in diesem Jahr begegneten: mit verriegelten Türen und fest zugezogenen Fensterläden. Und als der Wind durchs Ufertal fegte, brachte er die abgeschöpften Schwebstoffe all der Dinge mit sich, die er berührt hatte: den salzigen Geruch von totem Fisch und nasser Netze, von Krabbenköpfen und Fischerpisse und Spuren von Benzingestank und Angst. Ein überwältigendes Aroma, das uns die Nasenlöcher betäubte, so wirksam wie Frost.
    » Das ist ein wahrhaft böser Wind«, sagte meine Mutter; mein Vater stimmte ihr zu und steuerte dem Gestank gewissenhaft noch einen üppigen Furz bei.
    » Warte auf mich, Nancy!«, rief ich und rannte ihr, den zerklüfteten Strand entlangstolpernd, hinterher. Sie trug eine alte Segeltuchwerkzeugtasche, die immer wieder schwer und dumpf gegen die Felsen schlug. Ich wusste nicht, warum sie sie dabeihatte, und hätte sie fragen können, aber ich zog es vor, einfach abzuwarten, denn Nancy war voller Überraschungen, und auch dieser Tag entpuppte sich langsam als ebenso eine. Sie blieb im Schatten der hintersten Klippe stehen und ließ die Tasche fallen. Dann kramte sie einen Hammer und einen Meißel heraus und suchte die Umgebung nach dicken, tellergroßen Stücken dunklen Schiefers ab. Ich half ihr dabei, und schon bald lag ein ganzer Haufen, gestapelt wie Pfannkuchen, neben uns. Sie setzte sich hin, nahm die oberste Schieferplatte und klemmte sie sich hochkant zwischen die Füße.
    » So«, sagte sie und setzte den Meißel vorsichtig an der Kante an. Zwei gezielte Schläge, und die Platte spaltete sich in zwei saubere Stücke, die auseinanderklappten wie Buchdeckel.
    » Nichts«, sagte sie.
    » Aber nach was suchen wir denn?«, fragte ich aufgeregt.
    » Du weißt es, wenn du es findest«, sagte sie, nahm eine weitere Schieferplatte und brachte sie in Position.
    *
    Drei Stunden später setzte die Flut ein, und Nancys Laune fing an umzuschlagen; ein Gefühl des Versagens knabberte an den ausgefransten Rändern ihrer Begeisterung. Nicht einmal ein frischgebackener Scone mit Marmelade konnte ihre Stimmung wieder heben.
    Sie war umgeben von haufenweise zersplitterten Schieferplatten und unbelohnter Mühe, aber leider nicht von der Sache, die sie suchte. Sie richtete sich auf und wollte es für heute gut sein lassen.
    » Nur noch eine, Nancy«, bat ich und hob die letzte und kleinste der Platten auf. » Komm schon. Nur noch eine!«
    Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass dies diejenige sein könnte. Der Hammer sauste mit derselben Wucht herab, der Meißel traf mit derselben perfekten Präzision. Nichts war anders, außer Nancys Gesicht, als die Teile auseinanderbrachen, und sie sah, dass ihre Suche vorbei war. Denn dort, in der Mitte, schmiegte sich der schneckenförmige Abdruck eines Wesens aus einer anderen Zeit an den Schiefer, fast so alt wie die Welt selbst.
    Mir verschlug es den Atem. Ich

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