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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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mich im Sitz zurück, und zum ersten Mal während der sechsstündigen Fahrt richtete er sich interessiert auf. Er fing an, an seinen Nägeln zu kauen.
    » Alles gut«, sagte ich zu ihm, und er lächelte mich an, nahm seine Hand wieder aus dem Mund und konzentrierte sich auf die grüne Welt da draußen. Ich hob Gott aus seiner Kiste und zeigte ihm seine neue Heimat.
    » Hier bist du sicher«, flüsterte er.
    Die Straße wurde immer schmaler, und nach einer scharfen Rechtskurve war auch ihre Teeroberfläche verschwunden. Schon bald ruckelte das Auto ungemütlich über Steine, Schotter und Erdklumpen. Wir hielten schließlich vor einem baufälligen, grünen Tor. Auf dem linken Torpfosten war »Trehaven« eingemeißelt. Moos hatte sich in den Biegungen und Kanten eingenistet und hob die Buchstaben in leuchtendem Grün von der feuchten Dunkelheit des Waldes ab. Mein Vater machte den Motor aus. Ich hielt die Luft an, weil ich die Geräusche der Vögel und des Waldes nicht stören wollte; ich war ein Beobachter, ein Teilnehmer war ich noch nicht.
    » Wir sind da«, sagte mein Vater. » In unserem neuen Zuhause. Trehaven.«
    Zuerst sahen wir den Umzugswagen, dann die Lichtung, und erst dann kam das Haus in unser Blickfeld: groß und viereckig und gebrochen weiß im Sonnenlicht stand es einsam da, abgesehen von einem kleinen, verfallenen Nebengebäude, das sich seitlich in seinem Schatten versteckte. Ein kleiner Baum hatte von dem vernachlässigten Raum dazwischen Besitz ergriffen; seine Äste streckten sich gen Himmel.
    Ich nahm Gott an die Leine und rannte mit ihm über die Wiese zum Fluss. Auf den brüchigen Stegbrettern angekommen, setzte ich meine Schritte umsichtig. Sie waren morsch; über die Jahre zerfressen von Salz und Nässe und Vernachlässigung. Es gab auch ein Boot an einem Tau, leckgeschlagen und halb versunken, aber es klammerte sich an seine Heimat wie ein alter Mensch, der nicht wusste, wohin er sonst gehen sollte.
    » Was meinst du?«, fragte mein Bruder, der plötzlich hinter mir stand.
    Ich zuckte zusammen und fuhr hastig herum, denn dies war das Land der Geister und Kobolde und anderer Wesen, die zu leicht waren, als dass man das Geräusch ihrer Schritte vernehmen könnte.
    » Schau!«, rief ich und zeigte auf den Fluss hinaus. » Ein Fisch!«
    Und mein Bruder legte sich bäuchlings auf den Steg und tauchte behutsam die Hände ins kalte Wasser. Der Fisch schoss seitlich davon. Ich beobachtete meinen Bruder, wie er sich selbst betrachtete, den Kräuselungen seines Spiegelbildes folgte, als das Wasser um seine Fingerspitzen herum langsame Wellen schlug. Ich hörte ihn tief seufzen. Ein Klang voller Schwermut.
    » Wie alt bin ich?«, fragte er.
    » Fünfzehn«, antwortete ich. » Noch jung.«
    Ein Eisvogel flog über unsere Köpfe hinweg und landete am anderen Ufer. Ich hatte noch nie zuvor einen gesehen.

Es war der erste Mai, und die Morgenluft gab sich die größte Mühe, meine Traurigkeit zu vertreiben. Frisch wehte sie durch die Bäume, so anders als vor acht Monaten, als der Wald noch still und modrig dalag und unserem Haus immer mehr auf die Pelle zu rücken schien, wie schwere Regenwolken, die einfach nicht aufreißen wollten.
    Jahrzehntelang war das Haus vom Licht abgeschirmt gewesen, und schon bald setzte sich die Feuchtigkeit auch in unserer Kleidung, den Betten und unseren Knochen fest. Und eines Tages zur Mittagszeit, fünf Wochen nach unserer Ankunft, stellte meine Mutter das Ultimatum, dass wir entweder unser Haus verlegen mussten oder den Wald, und in einem seltenen Moment der Berufung ging mein Vater los und kaufte sich eine Axt.
    Sie wirkte klobig und unheilvoll im Kontrast zu seiner gertenschlanken Gestalt, aber er wurde gepackt von ihrem eindringlichen Ruf und ging zielstrebigen Schrittes ganz allein in den Wald. Er schlug alle Hilfsangebote aus und wollte auch nichts davon hören, dass eine Kettensäge weitaus praktischer gewesen wäre. Dies sei seine neue Aufgabe, sagte er, und er würde sie allein bewältigen. Buße, erinnerte mein Bruder mich, sei eine einsame Angelegenheit.
    Und so wie die Eichen ausgedünnt wurden, wuchs auch die Lichtung. Die Bäume wichen langsam vom Haus zurück und nahmen auch die Mücken mit. Allmählich erreichten die Sonnenstrahlen unser Haus früher am Tag, und Licht fing an, durch den einst so undurchdringlichen Baldachin hindurchzusickern, bis ein neuer Trieb sich zeigte, vielleicht eine Blume– eine Glockenblume?–, jedenfalls aber etwas Seltenes und

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