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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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vorher nicht Dagewesenes. Und bald wurden die gefällten Stämme zu Regalbrettern, auf denen unsere Bücher standen, zu dem Tisch, an dem unsere Streitgespräche stattfanden, und zu dem Steg, an dem das Boot festmachte, das wir als Überraschung zum ersten Weihnachten im neuen Zuhause bekamen.
    Von meinem Versteck hinter der Steinmauer sah ich zu, wie der Schulbus zum zweiten Mal diese Woche ohne mich wegfuhr. Meine Eltern wussten nicht, dass ich mich nicht darin befand, und würden es auch nicht erfahren, das heißt, erst viel später, nachdem sie wieder aus dem Staub und dem Chaos der Renovierung aufgetaucht waren. Natürlich bekäme ich dann etwas zu hören– wie immer–, aber das war mir jetzt noch egal. Bis dahin war es noch lange, und der Tag heute gehörte mir allein.
    Ich ging tiefer in den Wald, dorthin, wo die ältesten Bäume sich aneinanderlehnten und eine Kuppel bildeten, und wo eine Energie in der Luft lag, mit der Kraft von einer Million Gebeten. Seit Monaten hatte ich mich im Umfeld von verschiedenen Cliquen herumgedrückt, über Witze gelacht, die ich überhaupt nicht lustig fand, und ein besorgtes Gesicht gemacht angesichts von Problemen, die mir keinesfalls unüberwindbar erschienen. Nur damit eben diese Cliquen sich außerhalb der künstlichen Schulmauern von mir abwandten. » Scheiß doch auf die«, sagte mein Bruder, aber ich brachte es nicht übers Herz. Ich wollte gemocht werden. Aber ich war ein Außenseiter. Und Außenseiter wurden nicht vermisst.
    Ich setzte mich auf den Sitz, den mein Vater mir zu meinem zehnten Geburtstag gebaut hatte, und blickte hoch in das dichte Geflecht aus Ästen und Laub, das den Himmel verdeckte. Einmal hatte ich dort während eines Gewitters gesessen und war trotzdem trocken nach Hause gekommen. Ich holte den Brief aus meiner Schultasche und betrachtete ihre vertraute Handschrift. Sie war Linkshänderin, und die Buchstaben auf dem Umschlag zogen eine verschmierte Spur nach sich. Ich sah die Tintenflecke vor mir, die sich beim Schreiben von ihrem kleinen Finger bis über die Handfläche erstreckten, von wo aus sie sie in Momenten des Zögerns oder der Unsicherheit auf ihre Stirn übertrug. Aber solche Momente waren nun sicher selten, denn sie hatte jetzt einen Freund, und sie schrieb mir, um mir davon zu berichten.
    Sein plötzliches Auftauchen verdrängte jede Erwähnung von Atlantis, oder des Weihnachtsfestes, das sie gerade erst bei uns verbracht hatte– dieses erste unvergessliche Weihnachten in Trehaven. Und mein Name und unsere einst untrennbare Verbindung verschwanden aus dem Brief und machten Platz für Gordon Grumley, einen neuen Jungen aus Grants Hill. Es sei Liebe, schrieb sie. Ich ließ den Brief sinken und wiederholte das Wort voller Skepsis, als hätte eine solche Empfindung Jenny Penny ebenso geschickt übergehen sollen wie das Geschenk zu bändigenden Haares. Sie seien sich auf einer Beerdigung begegnet, schrieb sie. Und nun gehe er mit ihr auf den Bolzplatz, zum Leidwesen des Mannes, der im Gebüsch mit sich selbst spielte. Nun begleite er sie zur Schule und er flechte sogar mit der Geduld eines Gottes ihre Zöpfe. Dass man bei ihr vor kurzem Diabetes diagnostiziert hatte, erwähnte sie lediglich wie einen nachträglichen Einfall ganz unten auf der Seite. Sie sei okay, schrieb sie, aber sie müsse jetzt immer einen Schokoriegel in der Tasche haben. Das habe sie doch sowieso immer, hätte ich ihr am liebsten entgegnet.
    » Heute keine Schule, oder was?«
    Ihre Stimme bellte durch die Bäume.
    » Nancy! Du hast mich aber erschreckt«, sagte ich mit vorwurfsvoller Stimme.
    » Entschuldige«, sagte sie und setzte sich neben mich.
    » Dienstags geh ich nicht zur Schule.«
    » Ist das so?«, fragte sie und stupste mit dem Fuß gegen meine Schultasche.
    » Jenny Penny hat einen Freund.«
    » Echt?«, meinte sie. » Ist ja ätzend.«
    » Ja, ist es«, sagte ich und zupfte an einem losen Faden meines T-Shirts herum, das anfing, sich aufzutrennen. » Ich glaube nicht, dass ich sie noch mag.«
    » Und warum?«, wollte Nancy wissen.
    Ich zuckte mit den Schultern. » So halt.«
    » Bist du eifersüchtig?«
    Ich schüttelte den Kopf. » Ich will nur meine Freundin wieder«, sagte ich, und Tränen brannten in meinen Augen. » Ich bedeute ihr nichts mehr.«
    Ich duckte mich auf dem Beifahrersitz, bis Nancy den Wagen aus unserer Einfahrt gesetzt hatte und wir auf der offenen Straße davonsausten.
    » Die Luft ist rein«, sagte sie, und ich richtete mich wieder

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