Als Gott ein Kaninchen war
ich ihm zu, wie er schnitzte und meißelte und sich an einer Nut- und Federverbindung versuchte. Zwei hatte er schon hinbekommen. Sie lehnten an der Ablage über seinem Kopf. Im schummrigen Licht sah er aus wie mein Vater, der Vater, wie ich ihn kannte, als ich noch klein war. Derselbe Anblick, der gekrümmte, geschwungene Rücken, der nie zu atmen schien, denn das Atmen verhinderte die Präzision, und beim Tischlern war Präzision alles.
Er besuchte die Abendschule und lernte Möbelrestauration, vielleicht auch noch mehr, meinte er. Er hatte alles aufgegeben, das Leben, in das er sich geflüchtet hatte. Hatte seinen Job an der Wall Street sausen lassen, hatte die Wohnung in SoHo gekündigt, die jeden Monat Tausende von Dollar verschlang, und das Reihenhaus im Village gekauft mit seinem Vogelnest und den Bittereschen und der braunen Wand im Flur, die wir nach Weihnachten eingerissen hatten. Und er renovierte alles selbst, Zimmer für Zimmer, Monat um Monat, in einer geduldigen Hommage an seinen früheren Zustand. Dieses gemächliche Tempo lag ihm, denn mittlerweile hatte sich schon etwas Masse um seine Mitte angesammelt, und auch die Masse passte zu ihm, aber das hätte ich ihm nie gesagt. Jetzt war nur noch Charlie seine Verbindung zum alten Leben und dem Börsenparkett, zu den sich dauernd ändernden Zahlen und zu Frühstück bei Tagesanbruch im Windows to the World. Denn nun war es Charlie, der im Südturm arbeitete und vom siebenundachtzigsten Stock aus über Manhattan blickte. Eine unantastbare Präsenz, als ich über New York flog, er als König der Welt.
Mein Bruder rieb sich die Augen. Ich schaltete das Licht an, und er drehte sich zu mir um.
» Wie lange stehst du schon da?«
» Nicht lang.«
» Komm her, setz dich doch.«
Ich ging zu dem abgewetzten Sessel und fegte die hölzernen Locken weg, die er von einem Stück Eiche gehobelt hatte.
» Was zu trinken?«
» Wie spät ist es?«
» Zeit für einen Scotch. Komm schon, ich hab Dads Versteck gefunden.«
» Wo?«
» Im Gummistiefel.«
» War ja klar.«
Er füllte Scotch in schmutzige Becher, und wir stürzten sie in einem Zug hinunter.
» Noch einen?«
» Nein, danke«, sagte ich und spürte, wie mein Magen vor der rauchigen Wärme zurückzuckte und revoltierte. Ich hatte den ganzen Tag zu wenig gegessen. Ich stand auf, plötzlich brauchte ich dringend einen Schluck Wasser.
» Warte«, er streckte die Hand aus und sagte mir, ich solle mal hinter mich schauen. Ich drehte mich um, und dort im Türrahmen saß ein großes Kaninchen. Es beobachtete uns mit seinen dunklen Augen, während es sich seinen Weg durch Sägemehl und Holzspäne schnüffelte, Schmutz und Staub hingen in seinem kastanienbraunen Fell. Und während wir es ansahen, lösten sich die Jahre von uns, und wir wurden wieder kleine Kinder. Es brachte etwas mit sich, etwas, worüber wir nie mehr gesprochen hatten, das Etwas, das passiert war, als ich knapp sechs Jahre alt war, und er elf. Es war plötzlich da, als wir das Kaninchen betrachteten, und es war uns beiden bewusst, weil wir beide verstummten.
Ich kniete mich hin und streckte meine Hand aus. Wartete ab. Das Kaninchen kam näher. Ich wartete. Erst spürte ich die kühle zuckende Nase an meinen Fingern, dann etwas Warmes, Atem.
» Schau mal«, sagte Joe.
Mein abruptes Umdrehen ließ das Kaninchen weghoppeln. Ich stand auf und ging zu meinem Bruder.
» Wo hast du denn das gefunden?«
» Da hinten. Hinter den Regalen. Dad scheint es aufgehoben zu haben.«
» Warum sollte er es aufheben?«
» Zur Erinnerung an einen denkwürdigen Tag?«
Ich nahm ihm die große Pfeilspitze aus der Hand und drehte sie um. Mein Vater hatte Jenny Penny ermutigt, sie anzufertigen, als sie an diesem ersten Weihnachten bei uns war. Hatte ihr dabei geholfen, die kleinen Eichenholzstücke zuzusägen und sie anschließend zu dem spitzen, großen Gebilde zusammenzunageln, das ich nun vor mir hatte. Eine Seite hatte sie mit leeren Schneckenhäusern und grauen Kieselsteinen vom Strand dekoriert und dann alles mit Glitter besprüht. Meine Handfläche schimmerte im Licht.
» Sie wollte gefunden werden«, sagte er.
» Jeder will gefunden werden.«
» Ja, aber das ist der Teil, den ich immer vergesse. Wir haben nicht erraten, wo sie war, wir haben sie nicht gefunden. Sie hat uns erst dort hingeführt.«
» Wo wurde der Pfeil noch mal gefunden, in dieser Nacht? Erinnerst du dich noch?«
» Auf dem Steg. Er zeigte flussabwärts…«
» Zum Meer.«
»
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