Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
Vom Netzwerk:
überreden, noch auf einen Drink mit uns ins Haus zu kommen, aber er wollte nicht. Er wollte bloß die Taschen ausladen und schmollen. Dann fuhr er mit plärrender Musik die Einfahrt wieder hinauf und schaltete knirschend und viel zu schnell in den dritten Gang, sodass der Motor sofort absoff. In der schweren Stille, die ihn daraufhin umgab, dröhnte die Musik durch die Bäume, kläglich und verlassen. Oh Mandy.
    Oh Alan, dachte ich.
    Ich schlenderte allein zum Steg hinunter und schreckte einen Fischreiher auf, der friedlich auf der Kiesbank in der Nachmittagssonne gedöst hatte. Ich sah zu, wie er aufflog, benommen und lethargisch, nah über dem Wasser. Ich blickte zurück zum Haus und sah meine Mutter im Rahmen eines der oberen Fenster, sie bereitete die Gästezimmer vor, wie sie es immer machte. Und ich erinnerte mich an das Haus, wie ich es als Neunjährige zum ersten Mal gesehen hatte, mit seiner schmutzigweißen, bröckelnden Fassade, wie schäbige Kronen in einem vernachlässigten Gebiss, und wie es, im Schatten der zottigen Bäume, die gebrechliche Ruine an seiner Seite betrauerte, die einmal Arthurs Häuschen werden sollte. Ich musste wieder an das Gefühl von Abenteuer denken, das meine Gedanken damals erfasst hatte, die Atemlosigkeit des » Was-wäre-wenn«, die Verbindung, die grenzenlose Verbindung mit einem Horizont, der noch darüber hinausreichte und mir zuflüsterte: Folge mir, folge mir.
    Ich setzte mich ins Gras und streckte mich aus, bis ich spürte, dass mein Rücken nass wurde, unangenehm nass, und dass die schmerzliche Dankbarkeit, die mir in den Augen brannte, weitergezogen war. Solche Gefühle verfolgten mich schon seit einer Weile, ein beständiges Zurückblicken, das Feststecken des Ganzen. Ich schob es auf den kommenden Jahreswechsel, der nur mehr viereinhalb Monate entfernt war. Wenn die Uhren alle auf Null gestellt und wir wieder von vorne beginnen würden, beginnen könnten, aber ich wusste, dass wir es nicht tun würden. Nichts würde sich tun. Die Welt würde dieselbe bleiben, nur ein kleines bisschen schlimmer.
    Meine Mutter beugte sich aus dem Fenster und winkte. Ich warf ihr eine Kusshand zu. Sie war dabei, ein Studium zu beginnen, der heimliche Traum, der sich kürzlich erst Gehör verschafft hatte, und sie sah auch Mr A und die Auswüchse seines widerspenstigen Verstands nicht mehr. Drei Monate zuvor hatte er sich in eine Urlauberin aus Beaconsfield verliebt und seine Therapiestunden sofort abgebrochen, weil er dem alten Mythos Glauben schenkte, dass die Liebe alle Wunden heile (aber leider nicht die noch ausstehende Bezahlung einer offenen Rechnung).
    Ich stand auf und rannte die Wiese zum Haus wieder hoch und dann in das obere Zimmer hinauf, wo ich die Kissen aufschütteln, die Laken glattstreichen, die Vasen auffüllen und die Blumen arrangieren würde, nur um bei ihr zu sein; um bei ihr zu sein, zusammen mit etwas, das ich ihr niemals sagen könnte.

» Arthur!«
    Ich rief seinen Namen noch einmal, und gerade als ich das Tau losmachte und aufgeben wollte, kam er aus seinem Häuschen auf mich zugerannt, und sein leerer, alter Rucksack hüpfte auf seinem Rücken auf und ab.
    » Bist du sicher, dass du mitkommen willst?«, fragte ich ihn. » Du kannst auch bei Joe und Charlie bleiben.«
    » Die halten schon wieder ein Schläfchen«, sagte er mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme.
    » Also gut«, meinte ich und half ihm vorsichtig ins Boot.
    Er liebte es, wenn wir alle nach Hause zurückkehrten. Er war jetzt fast achtzig, aber in unserer Gegenwart wurde er zum Chamäleon, und unsere Jugend färbte auf ihn ab. Wir legten vom Steg ab. Ich machte den Motor nicht sofort an, sondern ließ uns erst in die Mitte der Strömung treiben, wo wir wie immer laut: » Alles klar, Ginger?« riefen, und wo wir beide den leichten Ruck des Boots spürten, die prompte Bestätigung unserer Worte, die nicht von der Heckwelle herrührte, nicht vom Wind und auch nicht von Untiefen im Wasser, sondern von diesem anderen Etwas, das alle Beweise ausbootet.
    Ich verlangsamte nahe des Ufers, um Brombeeren und frühe Damaszenerpflaumen zu pflücken, und wir versteckten uns hinter ausladenden Ästen und hielten nach dem großen Ottermännchen Ausschau, das mein Vater ein paar Tage zuvor zu sehen geglaubt hatte. Das in Wahrheit bloß ein Produkt seiner Fantasie war, ein Trick, wie ich meinte, um uns dazu zu bringen, noch einmal genau hinzusehen, um den Blick der Geplagten wieder milder werden zu

Weitere Kostenlose Bücher