Als Gott ein Kaninchen war
Kater auf Freiersfüßen. Die Rose, die den ganzen Sommer lang so üppig geblüht und den Neid aller Gäste hervorgerufen hatte, deren grüner Daumen plötzlich verblasste, angesichts der planlosen, unwissenden Leidenschaft meines Bruders. Er konnte Oasen in der Wüste entstehen lassen, einzig mit dem Dünger des festen Glaubens. Auf seinen Streifzügen hatte er sich ein Zuhause geschaffen.
Ein Helikopter am Himmel. Ein rhythmisches Knattern in der Luft. Das Geräusch einer Polizeisirene oder eines Krankenwagens, der durch die Stadt rast. Ein gefundenes Etwas, zu guter Letzt etwas Identifizierbares; und dann der darauffolgende vernichtende Anruf, aber wenigstens etwas, das man beerdigen konnte.
Er war zu beschäftigt gewesen, um die Pflanzen zurückzuschneiden– hatte nie verstanden, warum. » Lass der Natur ihren Lauf«, hatte er immer gesagt. Ich nahm einen kleinen Eimer und fing an, die vertrockneten, braunen Blüten abzupflücken. Ich konnte es nicht lassen. Nebenan lief Musik. Bruce Springsteen. Vorher war es noch Frank Sinatra gewesen. Nur die Jungs aus New Jersey durften noch den patriotischen Äther füllen.
» Deine Mutter hat neulich Abend etwas Komisches gesagt«, meinte Nancy, als sie die Schachteln mit dem Essen vom Lieferservice öffnete, auf das niemand Appetit hatte.
» Was hat sie denn gesagt?«, fragte ich und nahm eine Gabel statt der Stäbchen.
Charlie sah Nancy an.
» Was ist los?«, fragte ich.
Schweigen.
» Fass das jetzt bitte nicht falsch auf, Ell«, sagte Nancy.
» Was hat sie gesagt?«
» Sie meinte, dass Joe vielleicht einfach verschwunden ist, einfach abgehauen, weißt du, wie das manche Leute eben machen, wenn ein Unfall passiert. Weil sie die Chance bekommen, noch einmal ganz neu anzufangen.«
Ich starrte sie an.
» Warum sollte er ganz neu anfangen wollen?«
» Ich erzähl dir ja bloß, was sie gesagt hat.«
» Das ist doch totaler Quatsch! Das würde er uns niemals antun.«
» Natürlich nicht«, sagte Charlie und brach einen Glückskeks auseinander. » Er war schließlich nicht depressiv, er war glücklich.«
Er sagte »glücklich« so, wie es ein Kind sagen würde.
» Das ist verdammter Schwachsinn!«, rief ich wütend. » Das würde er uns nie antun. Niemals! Sie wird langsam verrückt.«
Wir sahen Charlie dabei zu, wie er sein Schicksal las. Er zerknüllte es, und wir fragten ihn nicht, was es war.
» Warum, verdammte Scheiße, sagt sie so was?«, fragte ich.
» Weil sie eine Mutter ist. Sie muss weiterhoffen können, dass er noch auf der Welt ist, Ell.«
Danach hatten wir uns noch weniger zu sagen. Aßen schweigend. Mein Magen schmerzte, die Verdauung streikte. Ich versuchte mich auf einen Geschmack zu konzentrieren, egal welchen, ihn aus allen anderen herauszupicken und meine Sinne zu trainieren. Aber alles, was ich riechen und schmecken konnte, war Verbranntes. Nancy stand auf und ging in die Küche. Sie fragte: » Noch Wein?« Wir sagten: » Okay.« Charlie nahm den letzten Schluck aus seinem Glas. Nancy kam nicht wieder.
Ich stand auf, um nach ihr zu sehen. Ich fand sie über die Spüle gebeugt, bei laufendem Wasserhahn, mit verzerrtem Gesicht. Die Flasche war umgefallen, der Korken steckte noch darin. Sie weinte fast lautlos. Leise unterdrücktes Schluchzen, übertönt vom Geräusch des laufenden Wassers. Sie schämte sich zu weinen, weinen bedeutete trauern, und trauern war etwas für diejenigen, die verloren hatten, also hatte sie das Gefühl, ihn zu verraten. In dieser Nacht lag ich neben ihr; sie auf der Seite, das Haar am Hals nass, die Wangen feucht. Es war zu dunkel, um ihre Augen sehen zu können. Die kleine Schwester meines Vaters, die seinen Schmerz austrug.
» Du bist nicht allein«, sagte ich.
Mitten in der Nacht stand ich auf und ging in mein Bett. Ich hatte nicht sein Zimmer genommen, Charlie schlief dort. Ich nahm das Vogelnest-Zimmer, den Raum, den wir zu allerletzt renoviert hatten. Den Raum mit dem funktionierenden Kamin und den nach vorne ausgerichteten Fenstern, an die die Äste der Bäume schnippten, und mit ihrem Klopfen um Einlass baten. Es war das Zimmer, das immer für mich bereitstand, in dem das Bett immer gemacht war und wo im Schrank meine Klamotten auf mich warteten, die zweite Garnitur meiner Kleidungsstücke, die ich immer hier aufbewahrte. Ich dachte kurz daran, ein Feuer zu machen, aber ich traute es mir nicht zu, nicht in dieser Nacht, die lodernde Asche kam mir zu gefährlich vor. Schlaflosigkeit war nicht gleich
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