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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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Zeit, sich zu verabschieden.
    »Ich vermisse unsere Besuche im Zoo«, sagte er, als er Anna küßte.
    »Ich auch«, sagte Anna. »Die Affen haben mir immer am besten gefallen.«
    »Ich schicke dir ein Bild von ihnen«, versprach Onkel Julius.
    Sie gingen zusammen zur Landebrücke.
    Während sie auf den Dampfer warteten, sagte Papa plötzlich: »Julius - fahr nicht zurück. Bleib hier bei uns. In Deutschland bist du nicht sicher.«
    »Was - ich?« sagte Onkel Julius mit seiner hohen Stimme. »Ich bin für sie uninteressant. Jemand, der sich nur mit Tieren abgibt. Ich bin nicht einmal jüdisch, wenn man meine arme alte Großmutter aus dem Spiel läßt!«
    »Julius - du begreifst nicht...« sagte Papa.
    »Die Situation muß sich ändern«, sagte Onkel Julius, und da kam auch schon der Dampfer angepufft.
    »Auf Wiedersehn, alter Freund!« Er umarmte Papa und Mama und beide Kinder.
    Als er schon auf der Gangway stand, dreht er sich noch einmal um.
    »Übrigens«, sagte er, »die Affen im Zoo würden mich vermissen.«

7
    Je länger Anna die Dorfschule besuchte, desto mehr gefiel es ihr dort. Sie freundete sich außer mit Vreneli noch mit anderen Mädchen an, besonders mit Rösli, die in der Klasse neben ihr saß und weniger schüchtern war als die übrigen. Der Unterricht war so leicht, daß sie ohne jede Anstrengung glänzen konnte, und wenn auch Herr Graupe in den herkömmlichen Fächern kein sehr guter Lehrer war, konnte er immerhin ausgezeichnet jodeln. Was Anna aber am besten gefiel, war, daß sich diese Schule von ihrer früheren in Berlin so völlig unterschied. Max tat ihr leid, weil er in der höheren Schule in Zürich fast das gleiche zu lernen schien wie in Berlin.
    Es gab nur eines, was Anna Kummer machte. Sie hätte gern mit Jungen gespielt. In Berlin waren Max und sie während der Schulzeit und am Nachmittag meist mit einer gemischten Gruppe von Jungen und Mädchen zusammen gewesen. Hier begann das endlose Hüpfspiel der Mädchen sie zu langweilen, und manchmal schaute sie in der Pause sehnsüchtig zu den aufregenderen Spielen und Kunststücken der Jungen hinüber.
    Eines Tages wurde nicht einmal Hüpfen gespielt.
    Die Jungen übten Radschlagen, und alle Mädchen saßen sittsam da und beobachteten sie aus den Augenwinkeln. Sogar Rösli, die sich das Knie aufgeschlagen hatte, saß bei den anderen. Vreneli war besonders interessiert, denn der große rothaarige Junge versuchte Rad zu schlagen. Die andern zeigten ihm, wie man es machen muß, aber er kippte immer wieder seitwärts über.
    »Willst du mit mir Hüpfen spielen?« fragte Anna Vreneli, aber die Freundin schüttelte abwesend den Kopf. Es war wirklich zu blöd, denn Anna schlug selber gern Rad - und der rothaarige Junge konnte es überhaupt nicht.
    Plötzlich konnte sie es nicht mehr aushalten. Ohne zu überlegen, was sie tat, stand sie von ihrem Platz zwischen den Mädchen auf und ging zu den Jungen hinüber.
    »Sieh mal«, sagte sie zu dem rothaarigen Jungen,
    »du mußt deine Beine strecken, so« - und sie schlug ein Rad, um es ihm zu zeigen. Alle Jungen hörten auf, Rad zu schlagen und traten grinsend zurück. Der rothaarige Junge zögerte.
    »Es ist ganz leicht«, sagte Anna. »Du kannst es, wenn du nur an deine Beine denkst.«
    Der rothaarige Junge schien immer noch unentschlossen, aber die anderen schrien: »Los - versuch’s!« So versuchte er es noch einmal, und es ging schon ein wenig besser. Anna zeigte es ihm noch zweimal, und da hatte er es plötzlich begriffen und schlug ein vollkommenes Rad, gerade als die Glocke das Ende der Pause verkündete.
    Anna ging zu ihrer Gruppe zurück, und die Jungen schauten und grinsten, aber die Mädchen blickten alle anderswohin. Vreneli sah richtig böse aus, und nur Rösli lächelte ihr einmal kurz zu. Nach der Pause war eine Geschichtsstunde, und Herr Graupe erzählte ihnen von den Höhlenmenschen. Wie er sagte, hatten sie vor Millionen von Jahren gelebt. Sie töteten wilde Tiere und aßen sie und machten sich aus ihrem Fell Kleider. Dann lernten sie Feuer anzuzünden und einfache Werkzeuge zu machen und wurden allmählich zivilisiert. Das war der Fortschritt, sagte Herr Graupe, und dazu kam es teilweise durch Hausierer, die mit nützlichen Gegenständen zu den Höhlen der Höhlenmenschen kamen, um Tauschgeschäfte zu machen.
    »Was denn für nützliche Gegenstände?« fragte einer der Jungen. Herr Graupe schaute empört auf.
    »Für Höhlenmenschen waren alle möglichen Dinge nützlich«, sagte er.

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