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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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»Zum Beispiel Perlen und bunte Wolle und Sicherheitsnadeln, um ihre Felle zusammenzustecken.« Anna war sehr überrascht über die Hausierer und die Sicherheitsnadeln. Sie hätte Hern Graupe gern gebeten, das genauer zu erklären, aber dann kam es ihr doch klüger vor, es zu unterlassen. Es schellte auch, bevor sie die Möglichkeit dazu hatte.
    Sie dachte auf dem Heimweg immer noch so angestrengt über die Höhlenmenschen nach, daß sie schon halbwegs zu Hause waren, ehe sie bemerkte, daß Vreneli nicht mit ihr sprach.
    »Was ist los, Vreneli?« fragte sie.
    Vreneli warf die dünnen Zöpfe zurück und sagte nichts.
    »Was ist denn?« fragte Anna noch einmal.
    Vreneli wollte sie nicht ansehen.
    »Du weißt es«, sagte sie, »du weißt es ganz genau.«
    »Nein, ich weiß es nicht«, sagte Anna.
    »Doch«, sagte Vreneli.
    »Nein, ehrlich nicht«, sagte Anna. »Bitte, sag es mir.«
    Aber Vreneli wollte nicht. Sie gingen weiter, ohne daß sie Anna einen einzigen Blick gegönnt hätte. Sie streckte die Nase in die Luft und hatte die Augen auf einen weit entfernten Punkt gerichtet. Erst als sie das Gasthaus erreichten und im Begriff waren, sich zu trennen, sah sie sie kurz an, und Anna war erstaunt, daß Vreneli nicht nur böse war, sondern auch den Tränen nahe.
    »Jedenfalls«, schrie Vreneli über die Schulter zurück, während sie davonrannte, »jedenfalls haben wir alle deinen Schlüpfer gesehen.«
    Während des Mittagessens mit Papa und Mama war Anna so still, daß es Mama auffiel.
    »Ist in der Schule etwas gewesen?« fragte sie.
    Anna überlegte. Es gab zwei Dinge, die ihr Kummer machten. Eins war Vrenelis sonderbares Benehmen und das andere Herrn Graupes Bericht über die Höhlenmenschen. Sie fand, daß das Problem mit Vreneli zu kompliziert sei, um es erklären zu können und sagte statt dessen: »Mama, haben die Höhlenmenschen wirklich ihre Felle mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt?« Dies rief einen solchen Schwall von Gelächter, Fragen und Erklärungen hervor, daß es bis zum Ende des Mittagessens dauerte, und dann war es Zeit, wieder in die Schule zu gehen. Vreneli war schon weg, und Anna, die sich ein wenig einsam fühlte, mußte allein gehen.
    Am Nachmittag hatte sie wieder Singstunde, und es wurde viel gejodelt, was Anna gefiel, und als es vorüber war, sah sich Anna plötzlich dem rothaarigen Jungen gegenüber.
    »Hallo Anna!« sagte er keck, und bevor Anna antworten konnte, fingen seine Freunde, die bei ihm waren, an zu lachen, drehten sich alle um und marschierten aus dem Klassenzimmer. »Warum hat er das gesagt?« fragte Anna.
    Rösli lächelte: »Ich glaube, du wirst Begleitung bekommen«, sagte sie und fügte dann hinzu: »Die arme Vreneli.«
    Anna hätte sie gern gefragt, was sie meinte, aber die Erwähnung von Vreneli erinnerte sie daran, daß sie sich beeilen mußte, wollte sie nicht allein nach Hause gehen. So sagte sie: »Bis morgen«, und rannte los.
    Auf dem Schulhof war nichts von Vreneli zu sehen.
    Anna wartete ein Weilchen, weil sie dachte, Vreneli könnte auf der Toilette sein, aber sie erschien nicht.
    Die einzigen auf dem Schulhof waren der rothaarige Junge und seine Freunde, die auch auf jemanden zu warten schienen. Vreneli mußte sofort weggelaufen sein, nur um ihr aus dem Weg zu gehen. Anna wartete noch eine Weile, aber schließlich mußte sie sich eingestehen, daß es zwecklos war und machte sich allein auf den Heimweg.
    Der Gasthof Zwirn lag keine zehn Minuten entfernt, und Anna kannte den Weg gut. Vor dem Schultor wandte sie sich nach rechts und ging die Straße hinunter. Nach ein paar Minuten bemerkte sie, daß der rothaarige Junge und seine Freunde sich vor der Schule auch nach rechts gewandt hatten. Von der Straße zweigte ein steiler, mit losen Kieseln bedeckter Pfad ab, der wieder auf eine andere Straße auslief, und diese führte wieder nach einigen Kurven und Wendungen zu dem Gasthaus.
    Erst auf dem Kiespfad begann Anna sich zu fragen, ob alles so war wie es sein sollte. Der Kies war dick und sehr locker, und ihre Füße machten bei jedem Schritt ein knirschendes Geräusch. Plötzlich hörte sie ähnliches, etwas gedämpftes Knirschen hinter sich.
    Sie horchte ein paar Augenblicke, dann blickte sie über die Schulter zurück. Es war wieder der rothaarige Junge mit seinen Freunden. Sie hielten die Schuhe in den Händen und tappten mit bloßen Füßen durch den Schotter, wobei die scharfen Steine sie nicht zu stören schienen. Der kurze Blick, den Anna zurückgeworfen

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