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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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hatte, genügte, um ihr zu zeigen, daß die Jungen sie beobachteten.
    Sie ging schneller, und auch die Schritte hinter ihr beschleunigten sich. Dann kam ein kleiner Stein geflogen und schlug in den Schotter neben ihr.
    Während sie sich noch wunderte, wo er wohl hergekommen war, traf sie ein anderes Steinchen am Bein.
    Sie drehte sich schnell um und sah gerade noch, wie der rothaarige Junge sich bückte und einen Stein nach ihr warf.
    »Was machst du da?« schrie sie, »hör auf!« Aber er grinste nur und warf ein anderes Steinchen. Dann fingen auch seine Freunde an zu werfen. Die meisten Steine trafen sie nicht und die, die sie trafen, waren zu klein, um eigentlich weh zu tun, trotzdem war es scheußlich.
    Dann sah sie, wie ein kleiner, krummbeiniger Junge, der kaum größer war als sie selbst, eine ganze Handvoll Schotter aufnahm. »Wage ja nicht auf mich damit zu werfen!« schrie sie so wütend, daß der krummbeinige Junge unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Er warf die Steine in ihre Richtung, zielte aber absichtlich zu kurz. Anna funkelte ihn an. Die Jungen blieben stehen und starrten zurück.
    Plötzlich tat der rothaarige Junge einen Schritt nach vorn und rief etwas. Die anderen antworteten in einer Art von Gesang. »An-na! An-na!« riefen sie. Dann warf der rothaarige Junge wieder ein wenig Kies und traf sie direkt an der Schulter. Das war zu viel. Sie drehte sich um und floh.
    Den ganzen Pfad hinunter sprangen Kiesel um sie herum, trafen ihren Rücken, ihre Beine. »An-na! An-na! An-na!« Sie kamen hinter ihr her. Ihre Füße glitten und rutschten auf den Steinen. »Wenn ich nur endlich auf der Straße wäre«, dachte sie, »dann könnten sie nicht mehr mit Steinen nach mir werfen.«
    Und da war sie! Sie fühlte den schönen glatten Asphalt unter den Füßen. »An-na! An-na!« Sie kamen jetzt näher. Sie bückten sich jetzt nicht mehr nach den Steinen und kamen schneller voran.
    Plötzlich kam ein großer Gegenstand hinter Anna hergepoltert. Ein Schuh! Sie warfen mit ihren Schuhen nach ihr! Wenigstens mußten sie sich bücken, um sie wieder aufzuheben. Die Straße machte eine Kurve, und man konnte den Gasthof Zwirn schon sehen. Das letzte Stück ging bergab, und Anna hastete den Abhang hinunter und erreichte mit letzter Kraft und außer Atem das Tor des Gasthofes.
    »An-na! An-na! An-na!« Die Jungen waren direkt hinter ihr. Um sie herum regnete es Schuhe... Und da!
    Wie ein Wunder, wie ein rächender Engel war Mama plötzlich da. Sie schoß aus dem Gasthaus heraus. Sie packte sich den rothaarigen Jungen und ohrfeigte ihn.
    Sie verdrosch einen anderen mit seinem eigenen Schuh. Sie stürzte sich auf die Gruppe, die in alle Richtungen auseinanderstob. Und während der ganzen Zeit schrie sie: »Was macht ihr da? Was ist los mit euch?« Auch Anna hätte das gern gewußt.
    Dann sah sie, daß Mama den krummbeinigen Jungen gepackt hatte und ihn schüttelte. Die anderen waren geflohen.
    »Warum habt ihr sie gejagt?« fragte Mama. »Warum habt ihr nach ihr geworfen? Was hat sie euch getan?«
    Der krummbeinige Junge verzog sein Gesicht und wollte es nicht sagen.
    »Ich laß dich nicht los«, sagte Mama, »ich laß dich nicht los, bis du mir sagst, warum ihr das getan habt!«
    Der krummbeinige Junge sah Mama ängstlich an.
    Dann wurde er rot und murmelte etwas.
    »Was?« fragte Mama.
    Plötzlich geriet der krummbeinige Junge in Verzweiflung.
    »Weil wir sie lieben!« schrie er so laut er konnte.
    »Wir haben’s getan, weil wir sie lieben!«
    Mama war so überrascht, daß sie ihn losließ, und er schoß davon, quer über den Hof und die Straße hinauf.
    »Weil sie dich lieben?« sagte Mama zu Anna. Keiner von beiden konnte es verstehen. Aber als sie später Max um Rat fragten, schien er gar nicht überrascht.
    »Das machen sie hier so«, sagte er. »Wenn sie sich in jemand verlieben, dann werfen sie Sachen nach ihm.«
    »Aber um Himmels willen, es waren doch sechs!« sagte Mama. »Es müßte doch andere Möglichkeiten geben, ihre Zuneigung auszudrücken!«
    Max zuckte mit den Schultern. »So machen sie es eben«, sagte er und fügte hinzu: »Eigentlich sollte Anna sich geehrt fühlen.«
    Ein paar Tage später sah Anna ihn im Dorf, wo er mit unreifen Äpfeln nach Rösli warf.
    Max war sehr anpassungsfähig.
    Anna war nicht sicher, ob sie am nächsten Tag zur Schule gehen sollte. »Wenn sie nun immer noch in mich verliebt sind?« sagte sie. »Ich hab keine Lust, mich wieder bewerfen zu lassen.«
    Aber sie hätte

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