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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Schrifttype wählen, wenn sie schreiben, konnte ich mir aus einem Dutzend Stimmen, die in meinem Computersystem angeboten wurden, eine aussuchen. Meine Wahl fiel auf ›Perfect Paul‹, da die Stimmlage zu mir zu passen schien – nicht zu hoch und nicht zu bärbeißig.
    Meine Sprache auf mich zuzuschneiden hat mir sicher mehr Selbstsicherheit verliehen, dennoch vertrieb es nicht die Angst, die mich an jenem Tag beschlich, als ich den Vortrag halten sollte. Ich wusste, dass ich viele Leute im Saal kennen würde, und das ständige Zittern meiner Hände – eine der Hinterlassenschaften meiner Vergangenheit – nahm mehr und mehr zu, je ängstlicher ich wurde. Virna saß in meiner Nähe, als ich meine Rede abspielte, trotzdem schüttelte es mich dermaßen, dass ich kaum die Schalter traf, um den Computer zu starten. Ich zwang mich, tief durchzuatmen, starrte auf den Bildschirm und hörte, wie meine Stimme zu sprechen begann.
    »Hallo allerseits und herzlichen Dank, dass Sie hier heute erschienen sind!«, sagte sie. »Ich bin wirklich nervös, daher habe ich ein paar Dinge schriftlich festgehalten.«
    Zeile für kostbare Zeile fuhr ich fort zu beschreiben, was ich seit dem Tag meiner Untersuchung und der Tests erlebt und was ich mir danach angeeignet hatte – die Software und die Symbole, die Schalter und die Kopfmaus –, und als ich geendet hatte, kamen die Zuhörer zu mir, um mir zu gratulieren. Dann begannen sie untereinander darüber zu diskutieren, was ich gesagt hatte, und es war seltsam, zu wissen, dass sie über Worte redeten, die ich gesprochen hatte. Es war das allererste Mal, dass mir so etwas widerfuhr.
    Die Leichtigkeit, mit der ich Computer beherrschte, veranlasste meinen Vater zu der Vermutung, ich sei vielleicht imstande, bei den Problemen im Gesundheitszentrum behilflich zu sein. Offenbar hatte er dort gesagt, man solle mir doch eine Chance geben, diese zu beheben, und so erschien Virna im Pflegeheim und holte mich aus meinem Klassenzimmer. Ich glaube, die Lehrerin, die uns an diesem Tag ›unterrichtete‹, muss wohl gedacht haben, die Welt sei total aus den Fugen geraten, wenn man auch nur mit dem Gedanken spielte, jemand aus dem hinteren Ende des Korridors sei möglicherweise in der Lage, einen Computer zu reparieren. Doch für mich war es wie ein Zeichen, jene Chance, auf die ich gewartet hatte, um zu zeigen, was tatsächlich in mir steckt.
    Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als mich Virna den Gang hinunterschob. Ich wollte beweisen, dass ich mehr konnte als nur Wörter über einen Laptop sprechen. Ich setzte mich vor den Computer und starrte auf den Bildschirm. Virna sollte mir zur Hand gehen und die Maus bedienen, um in das System zu gelangen, sodass ich es reparieren konnte, während sie mir vorlas, was auf dem Bildschirm geschrieben stand, und ich ihr sagte, was sie tun sollte. Einen Computer in Ordnung zu bringen erinnert schließlich ein bisschen an einen Gang durch einen Irrgarten: Man gerät immer wieder in Sackgassen, doch letztendlich findet man den Weg zum Ausgang. Ich brauchte nur meinem Instinkt zu vertrauen, wenn der Computer uns Befehle vorschlug, und so saßen wir dort stundenlang, beseitigten das erste Problem, dann das nächste und schließlich ein drittes.
    Ich genoss das Hochgefühl, als wir fertig waren. Ich hatte es geschafft! Ich konnte kaum glauben, dass ich eine Arbeit erledigt hatte, die niemand zu erledigen in der Lage gewesen war. Ich ließ Virna den Computer ein ums andere Mal checken, um ganz sicherzugehen, dass ich das Problem gelöst hatte, und danach stand fest, das System arbeitete wieder absolut fehlerfrei.
    »Bravo, Martin!«, wiederholte Virna ein ums andere Mal und lächelte mir freudig zu. »Ich kann es nicht fassen, dass du das Problem gelöst hast. Die Techniker haben es nicht gepackt, und du schaffst es!«
    Sie lachte in sich hinein, während sie mich den Korridor entlang ins Pflegeheim zurückschob. »Denen hast du es aber gezeigt!«, murmelte sie ständig vor sich hin.
    Selbst als es wieder in den Klassenraum ging, konnte mir das die gute Laune nicht verderben. Ich achtete nicht mehr darauf, wo ich mich befand. Es war mir egal. Alles, was ich sah, war der Bildschirm des Computers und dessen Innenleben, das in meinem Kopf herumschwirrte, während ich mich selbst und Virna durch den Irrgarten navigierte. Ich hatte es geschafft!
    Ein paar Tage später gab es erneut ein Problem, diesmal mit dem E-Mail-System, und wieder erzählte mir Virna davon.

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