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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Einsamkeit. Sie waren die Phantome, die sieben lange Jahre ihre schwarze Spur durch meinen Geist zogen – neun sogar, wenn man für mein Bewusstsein den gesamten Prozess meines Eintauchens ins Leben zugrundelegt. Doch obwohl mich die Furien oft fast bezwangen, habe ich glücklicherweise gelernt, sie hin und wieder zu besiegen.
    Frustration kam als Erste. Gäbe es eine Olympia-Goldmedaille dafür, ihr davonzulaufen, hätte ich sie mit Sicherheit gewonnen. Frustration war eine verquere, zischende Gebieterin, einzigartig, da sie alles verzehrte. Furcht war vielleicht ein unerwarteter Schlag in die Magengrube, und Einsamkeit eine schwere Last auf dem Rücken, doch Frustration begann in der Brust, bemächtigte sich der Eingeweide und überwältigte in kürzester Zeit meinen gesamten Körper. Jede Faser vibrierte, wenn sie mich erwischte.
    Frustration kam in mir so häufig auf, weil ich permanent daran erinnert wurde, dass ich mein eigenes Schicksal auch nicht im allergeringsten Maße bestimmen konnte. Wenn jemand wollte, dass ich Stunde um Stunde in derselben Position hockte, konnte ich nichts daran ändern, auch wenn mich Schmerzen quälten. Mit Worten lässt sich nicht beschreiben, wie sehr ich den kalten Vanillepudding mit Backpflaumen hasste, den ich jahrelang jeden Mittag essen musste. Und die Entschlossenheit anderer Leute, mich zum Gehen zu bringen, sorgte regelmäßig dafür, Frustration in mir aufheulen zu lassen.
    Meine Eltern glauben immer noch, dass ich vielleicht laufen könnte, da meine Gliedmaßen zwar spastisch und unbeherrschbar sind, aber nicht gelähmt. Meine Mutter war es, die mich zur physiotherapeutischen Behandlung schleppte, um dafür zu sorgen, dass meine Muskeln, Bänder und Gelenke durch die Inaktivität nicht völlig einrosten. Sie und mein Vater waren derart überzeugt davon, ich könne eines Tages wieder laufen, dass sie beide einem Arzt nicht vertrauten, als dieser vorschlug, einige Sehnen in meinen Füßen zu durchtrennen, um die spastische Lähmung zu reduzieren. Er sagte, es sei kein Problem, da ich meine Füße bestimmt nie mehr benutzen würde. Meine Eltern widersetzten sich seinem Rat, gingen mit mir zu einem anderen Arzt, und vor zwei Jahren wurde ich der ersten von zwei langwierigen Operationen unterzogen, um meine nach innen eingerollten Füße zu begradigen, da man hoffte, dies könne vielleicht helfen, mich eines Tages wieder gehen zu lassen.
    Nicht laufen zu können erschien mir immer relativ bedeutungslos im Vergleich zu meinen anderen Behinderungen. Als viel problematischer empfand ich es, meine Hände und Arme nicht zum Essen oder Waschen benutzen, keine Gesten machen und niemanden umarmen zu können. Keine Stimme zu haben, um zu sagen, dass ich satt oder das Badewasser zu heiß war, dass ich niemandem vermitteln konnte, wie sehr ich ihn liebte, das war es, was mir am stärksten das Gefühl gab, kein vollwertiger Mensch zu sein. Die Sprache trennt uns schließlich vom Tierreich. Sie erlaubt uns Willensfreiheit und Handlungsfähigkeit, indem wir sie einsetzen, um unsere Wünsche zu äußern und zurückzuweisen oder zu akzeptieren, was andere von uns verlangen. Ohne meine Stimme hatte ich keine Gewalt selbst über die einfachsten Dinge, und dies war der Grund, weshalb Frustration regelmäßig ihr ungestümes Klagelied in meinem Inneren anstimmte.
    Als Nächste zeigte sich ihre Schwester Angst, schwarz wie die Nacht – die Angst, in Zukunft Tag für Tag machtlos dem ausgeliefert zu sein, was mir widerfuhr, die Angst, älter zu werden und dauerhaft in ein Heim abgeschoben zu werden, weil meine Eltern mit zunehmendem Alter nicht mehr für mich sorgen konnten. Jedes Mal, wenn ich in ein bestimmtes Heim auf dem Land gebracht wurde, weil meine Familie Urlaub machte oder mein Vater auf Geschäftsreise war, überfiel mich Panik, da ich befürchtete, nie wieder von dort wegzukommen. Die wenigen Stunden im Kreis meiner Familie waren es, die mich am Leben hielten.
    Jenes Pflegeheim auf dem Land hasste ich mehr als jede andere Einrichtung, in die ich geschickt wurde. Als ich vor Jahren einmal hörte, wie sich meine Eltern darüber unterhielten, um welche Uhrzeit sie mich am nächsten Tag dorthin bringen sollten, wusste ich, dass ich etwas unternehmen musste, um sie daran zu hindern. Angst weckte mich mitten in der Nacht, und da wurde mir klar, sie endgültig abschütteln zu müssen. Nachdem ich gelauscht hatte und sicher war, dass alle schliefen, wuchtete ich meinen Kopf vom Kopfkissen

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