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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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nicht, was ich sagen soll. Ich bin verstört und fühle mich unsicher, während mich Munyane beruhigend anlächelt. Ich verstehe nicht recht, weshalb die Leute so reagieren, doch dann erinnere ich mich an eine Mutter, der ich kürzlich begegnete, nachdem ich in einer Schule für Kinder mit Behinderung gesprochen hatte.
    »Mein Sohn geht hier zur Schule, und ich wäre stolz, wenn er so wie Sie aufwachsen würde«, sagte sie mir nachher.
    Damals verstand ich noch nicht, was sie meinte, doch jetzt beginne ich vielleicht, dahinterzukommen.
    Während mir Hände auf die Schulter klopfen und mir gratuliert wird, sitze ich inmitten des Lärms und Gewusels, und ich erkenne, dass Menschen die Geschichte jenes Jungen hören wollen, der vom Tode auferstanden ist. Es verwundert sie, und mich erstaunt es auch.

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    32
Eine neue Welt
    D as Leben und ich sind ständig auf Kollisionskurs. An jeder Ecke reiße ich verwundert die Augen auf, wenn ich wieder mit einer neuen Erfahrung konfrontiert werde: Da sehe ich zum Beispiel einen Mann, dem ein breiter Streifen bunt gefärbter Haare wie Papageienfedern mitten über den Kopf läuft; ich probiere eine Wolke schmelzenden Zuckers, die sich Zuckerwatte nennt; ich erlebe das tolle Vergnügen, das sich einstellt, als ich zum ersten Mal Weihnachtsgeschenke für meine Familie einkaufe; oder die irre Überraschung, wenn mir plötzlich Frauen begegnen, die kurze Röcke tragen und ihre Münder mit leuchtend roter und ihre Augen mit blauer Schminke bemalt haben. Es gibt so viel zu erkunden, und ich bin ungeduldig, wissbegierig, hungrig nach jeder Information, die ich sammeln kann.
    Im Januar 2004, ein paar Monate nach meiner Rede, habe ich angefangen, vier Tage pro Woche zu arbeiten – zwei im Kommunikations-Institut und zwei im Gesundheitszentrum. Ich mache alles, von der Herausgabe eines Mitteilungsblattes und der Verwaltung von Computernetzwerken bis hin zum Austausch mit anderen AAC -Benutzern. Ich lerne sogar, wie man Webseiten einrichtet und wurde bei einem Universitätskursus angenommen, nachdem Professor Alant mich ermutigte, mich dort zu bewerben.
    Ich habe ja keinerlei Erinnerungen an die Schule, und meine Lehrbücher müssen auf Bänder diktiert werden, da ich noch nicht gut genug lesen kann, um daraus zu lernen. Allerdings werden meine Kommilitonen einen Hochschulabschluss machen – die meisten als Lehrer. Ich bekomme zwar kein volles Diplom, da ich keine höhere Schule besucht habe, doch mir wird die Fachhochschulreife zuerkannt, wenn ich den Kursus erfolgreich abschließe. Der Kursus beinhaltet Theorie und Praxis der Unterrichtung von Menschen mit AAC -Bedarf, und ich werde jede freie Minute außerhalb meiner Arbeit lernen müssen, um im Studium mitzukommen.
    Schließlich wage ich zu träumen, Unabhängigkeit könne vielleicht im Bereich des Möglichen für mich liegen. Arbeit und Studium sind Voraussetzungen, die mir helfen werden, einen besseren Job, ein höheres Einkommen und möglicherweise eines Tages sogar ein eigenes Zuhause zu bekommen. Dies sind die Dinge, die ich haben möchte, und ich muss mein Bestes geben, um meine Ziele zu erreichen.
    »Schauen Sie sich doch nur an!«, sagte Diane Bryen lachend, als wir uns bei einer Konferenz begegneten. Es war eine Versammlung von AAC -Anwendern aus ganz Afrika und Fachleuten aus aller Welt. Ich war einer der Redner, ebenso wie Diane.
    »Als ich Sie zum ersten Mal sah, waren Sie total verängstigt«, sagte sie. »Und jetzt fangen Sie schon an zu brüllen!«
    Veränderungen sind schwer zu registrieren, wenn sie einen selbst betreffen. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, wohin sich meine Persönlichkeit entwickelte, bis ich zum zweiten Mal an Dianes Workshop teilnahm und wir gebeten wurden, ein Bild von unseren Träumen zu zeichnen. Virna unterstützte mich bei dieser Konferenz. Während der Bleistift in ihrer Hand über dem leeren Blatt Papier schwebte, sagte ich ihr, wovon ich träumte: Ich sah ihr zu, wie sie ein Haus mit einem Lattenzaun darum herum und einen Hund mit wedelndem Schwanz zeichnete. Dies war es, was ich haben wollte, und als ich darüber nachdachte, ein Leben so sehr nach meinen Vorstellungen zu haben, kam in mir das Gefühl auf, innerlich einen Höhenflug zu machen.
    Als ich einige Tage später im Gesundheitszentrum arbeitete und während der Mittagspause neben Virna saß, wandte sie sich an mich.
    »Ich weiß kaum noch, wer du bist«, sagte sie.
    Ich schaute sie an und war unsicher, was

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