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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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sie meinte. Danach sprachen wir nicht mehr darüber. Doch ich fühlte mich weiterhin verunsichert, wenn ich an den folgenden Tagen über ihre Bemerkung nachdachte, denn ich war immer davon ausgegangen, Virna sei der Mensch, der mich kenne wie kein anderer auf der Welt. Deshalb verstand ich es nicht, als sie mir sagte, sie erkenne mich nicht wieder.
    Jetzt frage ich mich, ob das Erlernen von Kommunikation die Dinge, von denen ich geglaubt hatte, sie würden sich nie ändern, nicht doch stärker beeinflusst. Virna hat sich immer über den neuen Menschen gefreut, der ich zu werden beginne. Ist es hart für sie, jetzt einen Mann vor sich zu haben, der anfängt, eine Welt zu sehen, in der nicht mehr sie der Mittelpunkt ist? Lange Zeit sorgte sie dafür, dass ich geerdet blieb. Jetzt beginne ich zu fliegen, doch ich breite meine Flügel alleine aus.

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    33
Der Laptop
    I ch starre auf meinen Laptop. Der Bildschirm ist nur noch eine schwarze Fläche. Horror packt mich. Ich spüre, wie er mein Herz erfasst, umklammert und zu zerdrücken droht. Seit einiger Zeit schon habe ich Probleme mit meinem Laptop, und als Vorsichtsmaßnahme habe ich am frühen Abend allen meinen Bekannten eine E-Mail geschickt, um sie zu warnen, dass irgendetwas passieren könnte. Doch damit, dass meine Verbindung zur Außenwelt tatsächlich zusammenbrechen und bei mir absolute Funkstille herrschen würde, hatte ich niemals gerechnet.
    Ich weiß genug über Computer, um zu vermuten, dass das hier verhängnisvoll ist. Mein Laptop ist total tot, Herzstillstand. Ich fühle mich krank. Wenn ich meinen Computer nicht zur Verfügung habe, kann ich keine SMS oder E-Mails verschicken, keine Aufgaben für mein Studium erledigen oder die Arbeiten beenden, die ich abends aus dem Büro mit nach Hause nehme, um mich damit weiter zu beschäftigen und auf dem Laufenden zu bleiben. Jetzt kann ich mit meinen Freunden online weder scherzen und lachen, noch ihnen von meinem Tag berichten und sie fragen, wie es bei ihnen gelaufen ist. Meine reale Welt mag ja auf mein Zuhause und das Büro beschränkt sein, doch es gibt Lebensbereiche, die keine Grenzen kennen, wenn ich mit Leuten in verschiedenen Kontinenten chatte. Momentan kann ich ihnen nicht beschreiben, wie ich mich fühle, oder mich mit ihnen verabreden. Alles, womit ich noch kommunizieren kann, ist eine ramponierte Alphabetvorlage, die nicht um den ganzen Globus reicht, wie ich es brauche.
    Panik lässt meinen Magen rebellieren. Mein Leben wird bestimmt vom Druck auf einen einzigen Knopf. Es steht und fällt mit dem Netzwerk aus Drähten, und ich weiß nie genau, ob diese gerade im Begriff sind, verrückt zu spielen. Sie sind kein menschlicher Körper, der mir ein Signal senden kann wie erhöhte Temperatur, Übelkeit oder plötzliche Schmerzen. Stattdessen muss ich mich für den Rest meines Lebens auf einen Haufen Technik verlassen, der unvermutet den Geist aufgeben kann, ohne die geringste Vorwarnung.
    Ich bekomme kaum noch Luft. Mein Leben ist so anfällig. Die ganze Zeit habe ich geglaubt, den Geisterjungen für immer hinter mir gelassen zu haben. Erst jetzt wird mir klar, wie dicht mir sein Schatten noch auf den Fersen ist.

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    34
Der ›Berater‹
    W ie fühlen Sie sich heute, Martin?«
    Ich schaue den mir gegenüber sitzenden Berater an und weiß nicht recht, was er von mir erwartet. Ich starre auf meinen Laptop und klicke drei Symbole an.
    »Mir geht es gut, danke!«, sagt meine Stimme.
    »Gut«, sagt der Berater lächelnd. »Erinnern Sie sich noch, worüber wir letztes Mal gesprochen haben, als Sie bei mir waren?«
    Ich bin mir nicht sicher. Reden wir während der einen Stunde, die ich wöchentlich in diesem Büro verbringe, überhaupt miteinander? Natürlich sprechen wir: Der Berater sitzt hinter seinem gläsernen Schreibtisch in einem massiven schwarzen Bürosessel, der vor- und zurückschwingt, wenn er sich zurücklehnt, ich hocke auf der anderen Seite in meinem Rollstuhl mit einem Laptop vor mir. Doch ich zweifle, ob dieser Austausch von Worten wirklich eine Unterredung ist.
    Wenn ich hier bin, muss ich oft an den Film › Nummer 5 lebt ‹ denken, den ich mal im Fernsehen gesehen habe. Da geht es um einen Roboter, der eine menschliche Persönlichkeit entwickelt und das unstillbare Verlangen hat, die Welt um ihn herum zu verstehen. Niemand außer dem Mädchen, das ihn nach seiner Flucht aus dem Labor, in dem er geschaffen wurde, gerettet hat, glaubt, dass er wirklich Gefühle haben kann.

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